Versorgungssicherheit in der Energiewende gewährleisten

Datum des Artikels 08.05.2020
Beschluss

Die drei politisch-gesellschaftlichen Grundforderungen an die Energieversorgung in Deutschland sind preiswerte Energie, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit. Die jederzeit sichere Stromversorgung ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und für ein Land wie Deutschland mit starker industrieller Basis unverzichtbar. Ein hohes Niveau an Versorgungsqualität ist ein entscheidender Standortfaktor für den Wirtschaftsstandort Deutschland. In der jetzt laufenden Phase der Energiewende mit stark steigenden Anteilen Erneuerbarer Energien bei gleichzeitiger Stilllegung großer konventioneller Erzeugungsleistung muss es das Ziel sein, dass Erneuerbare, Speicher- und Power-to-X-Lösungen neben konventionellen Kraftwerken und flexiblen Lasten im digitalen Verbundsystem Versorgungssicherheit gewährleisten.

Neben dem Eigenengagement und der Eigenverantwortung der Wirtschaft, sich Energie als wichtigen Produktionsfaktor zu sichern, muss die Bundesregierung marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen, um das heutige Niveau der Versorgungsqualität zu halten und weiter zu stärken. Vor diesem Hintergrund fordert die MIT:

1. Es sind rechtzeitig Marktbedingungen zu schaffen, die gesicherte Investitionen in nachhaltige Versorgungssicherheit gewährleisten sowie das Verbrauchsverhalten anreizen, die notwendig zu sichernde Leistung zu reduzieren. Zugleich muss der künftige Marktrahmen regionale und überregionale Flexibilitäten anreizen sowie den Austausch von Daten zwischen Erzeugern, Verbrauchern und Netzbetreibern in Echtzeit forcieren.

Aufgrund der erheblichen witterungsbedingten Schwankungen der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien werden nämlich nach Kernenergie- und Kohleausstieg die verbleibenden konventionellen Stromerzeuger zukünftig den jeweiligen Restbedarf in vielen Zeiten nicht mehr abdecken können. Das trifft insbesondere auch für Zeiten längerer Dunkelflauten zu.
Der bestehende Energy-Only-Markt, in dem lediglich die tatsächliche Erzeugung von Strom vergütet wird, erfüllt diese Voraussetzungen künftig nicht in ausreichendem Umfang, da er zu wenig Investitions- und Betriebsanreize für gesicherte Erzeugungskapazitäten setzt.

2. Wir fordern daher, die gesetzlichen Rahmenbedingungen dergestalt anzupassen, dass die Lieferung aller am Markt gehandelten Strommengen entsprechend ihres witterungsbedingten volatilen Anteils vertraglich europaweit und technologieoffen physikalisch abgesichert werden muss. Für die dezentrale kleinteilige Nutzung von regenerativen Energien sind Bagatellgrenzen für die Nachweispflicht festzusetzen.

Zu einer ordnungsgemäßen Stromversorgung gehört insbesondere, dass die Stromanbieter die Verantwortung für die Versorgungssicherheit im Sinne der Versorgung der Letztverbraucher mit Strom tragen. Sie haben durch geeignete Geschäftsmodelle und technologische Lösungen in den bestehenden Strommärkten die Gewähr für eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung zu übernehmen. Neben Strom als Produkt wird damit die Verfügbarkeit der Energie zu einer werthaltigen Leistung. Strom-Produkte, die angeboten werden, müssen auch tatsächlich geliefert werden können. Das muss europa- und unbundlingkonform erfolgen.

Durch eine solche europaweite gesetzliche Verpflichtung entsteht ein Preissignal für Versorgungssicherheit, das zur Wirtschaftlichkeit von Speichertechnologien, flexiblen Lasten bis hin zum Einsatz umweltfreundlicher moderner konventioneller und Kraft-Wärme-Kopplungskraftwerke eine marktwirtschaftliche Grundlage liefert, da auch die Absicherung der volatilen Strommengen aus der durch Witterung beeinflussten Stromerzeugung und nicht nur die Strommenge an sich zur marktwirtschaftlichen Größe sowie zu einem Preisbestandteil wird.

3. Die MIT ist dem Ziel der Versorgungssicherheit verpflichtet. Versorgungssicherheit bedeutet, dass auch in Zukunft bei weiter wachsenden Anteilen volatiler erneuerbarer Energien ausreichend gesicherte Leistung bzw. Flexibilitäten zur Verfügung stehen müssen. Diese sollen nach Auffassung der MIT über die existierenden Märkte ergänzt durch physikalische Lieferverpflichtungen sichergestellt werden.

4. Das neue Strommarktdesign ist dergestalt auszulegen, dass der Letztverbraucher in der Niederspannung mit Standardlastprofil über das von ihm benötigte und dann auch zu bezahlende Größenmaß der Versorgungssicherheit und Flexibilität entscheidet. Dazu sind die regulierten Strompreissysteme um die neue Preiskomponente entsprechend anzupassen und zu flexibilisieren.

Begründung:
Vorgegebenes Ziel des EEG 2017 ist, dass der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch sukzessive über 60 % bis zum Jahr 2035 auf mindestens 80 % bis 2050 ausgebaut wird. Infolgedessen sind durch konventionelle Stromerzeugungsarten ab 2035 rund 40 % und ab 2050 20 % abzudecken. Zudem gibt das Klimaschutzprogramm 2030 vor, den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahre 2030 sogar auf 65 % zu steigern. Die bisher in hohem Maße die Versorgungssicherheit gewährleistenden Stein- und Braunkohlekraftwerke werden jedoch nach den politischen Beschlüssen sukzessive bis 2038 neben den bereits bis Ende 2022 stillzulegenden Kernkraftwerken außer Betrieb genommen. Es entfallen somit Kraftwerke, die heute mehr als 50 % des gesamten Strombedarfs abdecken.

Die Versorgungssicherheit mit Strom wird unter der Zunahme volatiler Energieerzeugung durch die regenerativen Energien in der bisherigen Energiemarktstruktur zunehmend komplexer zu gewährleisten sein. Der Schlüssel zur künftigen nachhaltigen Versorgungssicherheit stellt eine marktbasierte Verbundlösung von Erneuerbaren, Speichertechnologien, Power-to-X, Sektorkopplungslösungen mit der Deckung verbleibender Lücken durch flexible konventionelle Kraftwerke und der Steigerung der Flexibilität auf der Verbraucherseite dar. Dabei können witterungsbedingte kurzzeitige Schwankungen in der regenerativen Stromproduktion durch gegebene und noch ausbaubare technisch zentrale Systemdienstleistungen aufgefangen werden. Indem witterungsabhängige (Wind, Photovoltaik) mit witterungsunabhängigen (z.B. Biomasse-, Altholzkraftwerke etc.) regenerativen Stromerzeugungsarten und DSM-Systemen durch Aggregatoren miteinander gebündelt werden, kann z.B. im Rahmen von Direktlieferungsverträgen die physische Absicherung der Stromlieferung gewährleistet werden. Für ein solches Marktentwicklungsmodell bedarf es aber ebenfalls noch der Anpassung der EEG-Rahmenbedingungen. Ziel ist es, dass die vertraglich zugesicherte Stromlieferung physikalisch erfüllt wird. Eine „physikalische“ Absicherung heißt aber nicht eine Besicherung der installierten Leistung der Anlagen.

Die Schwachwindphasen/Dunkelflauten in den vergangenen fünf Jahren haben gezeigt, dass für mehr als eine Woche konventionelle Kraftwerke bzw. Stromspeicher mit einer Leistung bis zu 80 GW zur gesicherten Versorgung zur Verfügung stehen müssen. Auch wenn es Phasen gibt, wie zuletzt vor einigen Monaten, bei denen die regenerativen Energien beinahe 80 % des Strombedarfs decken konnten, sind dies keine planbaren Zustände. Es bedarf also eines flexiblen Systems, welches diese Volatilitäten unter marktwirtschaftlichen Bedingungen als selbstverständliche Größe einschließt.

Wegen der derzeit nur gering vorhandenen Stromlangfristspeicher, der Stilllegung aller Kernkraftwerke, der Außerbetriebnahme von Kohlekraftwerken und der Stilllegung von Kraftwerken aus Wirtschaftlichkeitsgründen im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien ist es absehbar, dass die erforderliche Leistung bei witterungsbedingtem Ausfall der Erneuerbaren Energien nicht mehr allein durch deutsche Kraftwerkskapazitäten gesichert sein wird. Prognosen zufolge sinkt die konventionelle Kraftwerksleistung bis 2023 von heute 88,6 GW auf 67,3 GW. Weitere 13 GW werden durch den Kohlekompromiss bis 2030 und weitere 17 GW bis 2038 stillgelegt. Zudem können nach DENA-Studien fehlende gesicherte Leistungen infolge der EU-weit hohen Gleichzeitigkeit von Dunkelflauten nur zu einem geringen Anteil aus dem europäischen Ausland abgedeckt werden.

Durch Wirtschaftswachstum und fortschreitende Elektrifizierung, z. B. im Verkehrsbereich, wird nach in den DENA-Studien aufgemachten Szenarien die durch Kraftwerks- und Speicherkapazitäten abzusichernde Jahreshöchstlast auf bis 123 GW im Jahre 2030 und 160 GW im Jahre 2050 ansteigen. Die im Zieldreieck verankerte Versorgungssicherheit ist daher rechtzeitig, auch im Hinblick auf lange Planungs- und Bauzeiten der erforderlichen Infrastruktur, in ein marktwirtschaftliches System zu überführen. Mit einem verlässlichen, marktwirtschaftlich orientierten ordnungspolitischen Rahmen sind Investitionsanreize für Flexibilitäten und gesicherte Erzeugungskapazitäten zu setzen. Marktwirtschaftlich orientierte Systeme, über die gesicherte Erzeugungs- und Speicherkapazitäten EU-weit eingekauft werden können, erfüllen diese Voraussetzungen.

Anderenfalls sind eine staatliche Regulierung durch weitgehende Einbeziehung von konventionellen Kraftwerken und ggf. Langfristspeichern in die Kapazitätsreserve und somit der Ausschluss der Marktwirtschaft die Folge. Die MIT warnt davor, dass in Zukunft neben dem EEG mit einer Kapazitätsreserve zwei voneinander getrennte staatliche Fördersysteme bestehen müssen, um die Versorgungssicherheit in Deutschland auf dem heutigen Niveau zu erhalten. Denn § 13e des Energiewirtschaftsgesetzes verpflichtet die Betreiber von Übertragungsnetzen, Kapazitätsreserveleistung für den Fall des nicht vollständigen Ausgleichs von Angebot und Nachfrage an den Strommärkten vorzuhalten. Bisher sieht das Gesetz bis zum Winterhalbjahr 2022/2023 dafür nur 2 GW vor. Nach der Kapazitätsreserveverordnung ist derzeit dafür ein Entgelt bis zu 100 Mio €/GW pro Jahr zu zahlen. Zudem dürfen die in der Kapazitätsreserve gebundenen Anlagen ausschließlich nur in Zeiten einer bestehenden Kapazitätslücke eingesetzt werden. Sie stehen also bis auf erforderliche wenige Einsatzstunden im Jahr still. Ihre Vorhaltung ist deshalb besonders teuer.

Darüber hinaus sieht die seit dem 1. Januar 2020 geltende neue EU-Verordnung über den Elektrizitätsbinnenmarkt Kapazitätsmechanismen nur „als letztes Mittel“ in der Ressourcenbereitstellung mit maßgeblichen Einschränkungen vor. Die Kosten der zusätzlichen Kapazitätsreserve gehen in die Übertragungsnetzentgelte ein und werden zu ihrem erheblichen Anstieg führen. Zudem drohen die Kosten für die Zwischenspeicherung von Strom zu zusätzlichen Umlage- und/oder Steuerbelastungen zu führen. Mit dem in den nächsten Jahrzehnten bis auf 80 % anwachsenden Anteil der volatilen Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien muss mit einem marktwirtschaftlichen System Verantwortung für die stetige gesicherte Lieferung auf alle Lieferanten übertragen werden. Dieses muss die an das Verteilnetz angebundenen Eigenerzeuger mit einbeziehen.