Interview mit Tilman Kuban: "Koalition sollte sich weniger profilieren und mehr regieren."

Datum des Artikels 19.06.2019
MittelstandsMagazin

Der neue Vorsitzende der Jungen Union (JU) fällt seit seiner Wahl mit Klartext-Ansagen auf. Im Interview mit Mittelstandsmagazin-Chefredakteur Thorsten Alsleben beklagt Tilman Kuban, dass in der CDU zu lange eine Meinung vorgegeben wurde. Der JU-Chef fordert mehr innerparteilichen Diskurs und Antworten auch auf Fragen der Digitalisierung und des Klimaschutzes.

Herr Kuban, Sie sind seit März neuer Vorsitzender der JU. Was ist denn bei Ihnen anders als bei Ihrem Vorgänger Paul Ziemiak?

Tilman Kuban: Paul und ich sind unterschiedliche Typen und deswegen werden wir unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Paul hat in den letzten Jahren den Verband ins digitale Zeitalter geführt. Darauf bauen wir auf. Mir geht es jetzt darum, den Mitmach-Charakter zu stärken und dafür zu sorgen, dass wir als JU die Jugendorganisation sind, in der sich wirklich vom Neumitglied bis zum Bundesvorstandsmitglied jeder einbringen kann.

Wird es auch inhaltlich eine andere Ausrichtung geben?

Wir werden neue Schwerpunkte setzen. Es wird jetzt zum Beispiel aufgrund der aktuellen Diskussionen in der jungen Generation darum gehen, das Thema Nachhaltigkeit stärker in den Fokus zu rücken und deutlich zu machen: Wir sind die Partei, die als einzige Ökologie, Ökonomie und Soziales vereint. Statt das Thema Klimaschutz nur einseitig zu behandeln, müssen wir auch die Fragen beantworten: Wie erhalten wir gleichzeitig unsere Innovationskraft? Wie stärken wir unsere Arbeits- und Ausbildungsplätze in den nächsten Jahren? Wie setzen wir ökologische Standards, um lebenswerte Regionen zu erhalten und wie sorgen wir dafür, dass unser Sozialsystem auch in Zukunft den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkt?

Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie da mit der MIT?

MIT und JU arbeiten seit vielen Jahren gut zusammen. Wir sind das Erfolgsduo für die programmatische Neuausrichtung der Union.

Was muss denn jetzt in der CDU anders gemacht werden?

Aus meiner Sicht dürfen wir nicht nur anderen hinterherlaufen. Wir müssen einen eigenen Weg gehen und deutlich machen: Wir sind die Gestalter, die Themen setzen. In Österreich beispielsweise gab es große Sympathien bei den Wählern, weil man inhaltliche Schwerpunkte gesetzt hat, etwa die Steuerung der Migration oder die steuerliche Entlastung, und diese Punkte dann konkret durchsetzt wurden. Daran hakt es bei uns momentan, dass wir zwar auch ankündigen, aber nicht genug durchsetzen. Das liegt ja vielleicht auch am Koalitionspartner.

Hoffen Sie, dass die SPD irgendwann aus der Koalition austritt?

Das muss am Ende die SPD entscheiden. Es steht mir nicht zu, ihr Ratschläge zu geben. Ich kann mir nur wünschen, dass sich die Koalition ein bisschen weniger mit sich selbst beschäftigt und sich dafür etwas mehr aufs Regieren konzentriert. Jeder muss seine Themen und Schwerpunkte setzen und dem anderen Partner Erfolge lassen. Der Koalitionsvertrag gibt dafür genug Projekte vor.

Heißt das dann Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung? Und dafür gibt es die vollständige Soli-Abschaffung?

Ich halte die Grundrente insgesamt für falsch, weil wir bei der Rente in den vergangenen Jahren schon häufig neue Leistungen draufgesattelt haben. Wir wissen, dass wir dort schon jetzt komplett unterfinanziert sind. Ein Drittel des Rentensystems ist durch Steuern finanziert und nicht mehr durch Umlagen. Deswegen sollten wir zusehen, dass wir den nächsten Generationen nicht immer mehr Belastungen aufbürden. Bei der Abschaffung des Solis haben wir auch eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag, wonach 90 Prozent abgeschafft werden sollen. Es gibt aber auch verfassungsrechtliche Gutachten, die zu einer kompletten Abschaffung raten. Wir stehen hier klar an der Seite der MIT: Wir wollen die komplette Abschaffung.

Was passiert, wenn die SPD aussteigt?

Ich gehe davon aus, dass wir Neuwahlen bekommen, wenn die SPD die Koalition beendet.

Obwohl die Union dann erst einmal eine gewählte Kanzlerin hätte und mit ihren Ministern oder mit FDP problemlos weitermachen könnte. Warum nicht eine Minderheitsregierung?

Spätestens bei der nächsten Haushaltsaufstellung würde das zu großen Komplikationen führen, dafür braucht man starke Mehrheiten. Das kann man eine Zeit lang machen, aber die CDU ist die Partei, die immer für Stabilität in Deutschland stand, und dafür soll sie auch in Zukunft stehen.

Wenn es zu Neuwahlen kommt: Wäre die CDU-Parteivorsitzende Ihre Wunschkanzlerkandidatin?

Es ist müßig, jetzt zu spekulieren, wer in welcher Situation Kanzlerkandidat ist oder nicht. Aber klar ist: Wir müssen uns jetzt auf ein Verfahren einigen und dafür sorgen, dass wir den oder die beste Kandidatin ins Rennen schicken, um weiterhin den Kanzler zu stellen.

Ist das automatisch die Parteivorsitzende?

Die Parteivorsitzende hat traditionell immer ein erstes Zugriffsrecht.

Sie haben die CDU in der Ära Merkel für eine fehlende Diskurs-Kultur kritisiert. Sie haben den Begriff Gleichschaltung benutzt, für den Sie sich dann entschuldigt haben. Was kritisieren Sie denn konkret in der Sache?

Wir haben uns sehr darauf fokussiert, dass wir nur eine Meinung nach außen präsentieren, und zu wenig deutlich gemacht, dass es unter dem gemeinsamen Dach der Partei auch unterschiedliche Positionen gibt. Dabei ist es genau das, was eine Volkspartei ausmacht: dass es sowohl einen wirtschaftsliberalen als auch einen christlich-sozialen und einen konservativen Flügel gibt, dass wir Jung und Alt zusammenbringen. Es ist doch unsere Stärke, die unterschiedlichen Positionen in unserer Volkspartei abzuwägen und dann eine gemeinsame Lösung nach außen zu präsentieren, die durchaus den Anspruch hat, als Kompromiss für die gesamte Gesellschaft tragfähig zu sein. Vielleicht wurde in den letzten Jahren zu sehr eine Meinung vorgegeben, der viele hinterhergelaufen sind. Da wünsche ich mir vor wichtigen Entscheidungen mehr innerparteilichen Diskurs. Deswegen finde ich es gut, dass Annegret Kramp- Karrenbauer beispielsweise mit dem Werkstattgespräch zur Migration ein Thema in der Partei, aber auch in der Gesellschaft, direkt aufgegriffen hat.

Finden Sie, dass sich unter Annegret Kramp-Karrenbauer diese Diskursbereitschaft verändert hat?

Dieses Gespräch war ein erstes sehr positives Signal. Es sollten weitere Werkstattgespräche folgen. Ich halte das für richtig, um die Partei und die verschiedenen Flügel einzubinden. Das wird unsere CDU stärken und vor allem dann auch inhaltlich neu ausrichten.

Wo sehen Sie denn jetzt noch Defizite bei der CDU?

Die aktuelle Frage ist: Was sind unsere Antworten bei den drängenden Themen Digitales oder Klimaschutz? Hier müssen wir erst noch unsere eigene Position finden. Daneben müssen wir aber auch die Frage beantworten, was die großen Schwerpunktthemen sein sollen. Wofür steht die CDU in den nächsten Jahren? Ich sage immer: Der Wahlkämpfer muss nachts aufwachen und sagen: „1, 2, 3. Dafür
steht meine Partei“. Das muss unser Anspruch sein.

Was sind denn die drei Punkte, mit denen Sie nachts aufwachen?

Wir haben Oberbegriffe, aber wir müssen diese wieder mit Leben füllen. Wir sind die Partei, die für Sicherheit und Rechtsstaat, für Soziale Marktwirtschaft und Innovationen steht, genauso stehen wir für Europa und eine starke Rolle Deutschlands in der Welt. Wir müssen jetzt zusehen, dass wir diese Punkte wieder mit konkreten Forderungen untermauern, damit wir für die nächste Bundestagswahl nicht nur die Schlagworte haben. Das ist unser Auftrag für die nächsten Monate.



Ist Klimaschutz auch so ein Oberbegriff?

Ich halte es für sehr sinnvoll, jetzt einen Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit zu legen, um unser Alleinstellungsmerkmal nach außen zu präsentieren. Wir stehen für ökologische Standards, wir stehen für die Klimaziele des Pariser Abkommens…

… das sehen die Wähler aber nicht unbedingt…

… aber wir verbinden es mit der ökonomischen Säule und der sozialen Säule. Und genau das ist etwas, was unseren eigenen Kern nach außen stellt.

Ist die Klimabewegung nur eine Modeerscheinung, ein momentanes Phänomen, und kommt morgen wieder ein anderes Thema?

Wir erleben eine junge Generation, die politisiert ist und die sich wieder stärker mit Politik beschäftigt. Das finde ich gut. Diese Generation hat drängende Fragen, es gab schon zur Urheberrechtsreform viel Bewegung und Demonstrationen. Jetzt haben wir eine große Bewegung, die sich insbesondere für den Klimaschutz einsetzt. Dass sich junge Menschen wieder mehr mit Politik beschäftigen, haben wir uns lange Zeit gewünscht. Es ist jetzt die Aufgabe der JU und der CDU, diese Jugendlichen abzuholen. Das ist uns bei den letzten Themen leider nicht gut gelungen.

Wie kriegen Sie denn die Jugendlichen? Die Anliegen sind zum Teil konträr zu dem, was CDU-Politiker bislang gesagt haben. 

Beim Thema Urheberrecht haben wir als JU schon im letzten Jahr klar gesagt, dass Uploadfilter der falsche Weg sind. Da müssen wir sensibilisieren, gerade auch in unserer Partei. Ich erwarte da auch mehr Rückhalt und Verständnis: Andere Generationen haben früher auch für Freiheit gestritten . Und jetzt geht es darum, dass unsere Generation für die Freiheit im Netz streitet und dafür werden wir uns auch als JU weiterhin einsetzen. Und wenn es dann gegen die Mutterpartei sein muss und es wichtig ist, dann muss das auch mal sein.

Inwieweit spricht denn die JU überhaupt die Sprache der „Fridays for Future“-Kids oder der Rezo-Follower? Oder ist es mehr die Sprache der Jungschützen oder der Studentenverbindungen?

Am Ende geht es darum, dass wir alle ernst nehmen. Es gibt viele junge Menschen, die sich momentan in Demonstrationen zum Thema Urheberrecht oder Klimaschutz engagieren. Es gibt aber auch junge Menschen, die sich in Vereinen, Feuerwehren oder anderen Ehrenämtern engagieren. Traditionell ist es so, dass die CDU den vorpolitischen Raum kennt, ihr aber das Netz eher fremd ist. Deswegen gilt es, alle jungen Menschen, die sich politisch engagieren, ernst zu nehmen. Ich sehe darin keinen Widerspruch. Aber wir haben auf der digitalen Seite vielleicht noch ein bisschen mehr Nachholbedarf. Als JU sind wir im Netz stark unterwegs und mit unserer Instagram-Influencer-Kampagne neue Wege gegangen. Das waren gute Ideen, aber wir können natürlich auch noch besser werden.

Wie hätten Sie denn auf das Rezo-Video reagiert?

Wir haben gemeinsam mit dem Konrad-Adenauer-Haus abgestimmt, dass wir ein Video machen. Deswegen hätte ich die Antwort, die dort produziert wurde, sehr gerne gesehen. Wenn man an dem Tag, in dem es rauskommen sollte, bei Twitter den Top-Hashtag #Amthor hat (der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor war für das Antwort-Video vorgesehen; Anm. d. Red.), dann gibt es keine andere Wahl mehr, als dieses Video auch zu veröffentlichen. Und wie ich gehört habe, hat er es sehr gut gemacht.

Also war es eine Fehlentscheidung, das nicht zu bringen?

Diese Entscheidungen sind getroffen worden. Wir gucken jetzt nach vorne.

Die nächsten Fragen bitte nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantworten. Sollten Politiker auch außerhalb der Politik gearbeitet haben?

Ja.

Sollten Kanzleramt und Parteivorsitz im Regelfall in einer Hand sein?

Im Regelfall ja.

Wird die CDU innerhalb der nächsten zwei Jahre wieder über 40 Prozent liegen?

Ja, das ist mein Wunsch.

Wird Friedrich Merz irgendwann ein Amt in der Bundesregierung erhalten?

Ja.

Wird Ihr Kollege Kühnert von den Jusos demnächst SPD-Vorsitzender?

Nein, hoffentlich nicht.

Und zum Schluss machen wir eine Satzvervollständigung: Das Beste an der GroKo ist…

… dass wir eine Regierung haben, die jetzt hoffentlich neue Themen auf die Agenda setzt, um Deutschland in unruhigen Zeiten weiter Stabilität zu geben.

 

Tilman Kuban (32) hat sich im März in einer Abstimmung als neuer Bundesvorsitzender der Jungen Union (JU) durchgesetzt. Der Jurist aus Barsinghausen arbeitet seit drei Jahren als Leiter der Rechtsabteilung bei den Unternehmerverbänden Niedersachsen. Im Mai kandidierte Kuban vergeblich für ein Abgeordnetenmandat im Europäischen Parlament. Wegen des schwachen Abschneidens der CDU zog sein Listenplatz (4) nicht. Er wäre erster Nachrücker in Niedersachsen.

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 3-2019