EuGH-Urteil überprüfen. Arbeitszeirecht modernisieren. Familienvereinbarkeit stärken

Datum des Artikels 20.05.2019
Beschluss

Die Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) lehnt zusätzliche Bürokratie durch eine vom EuGH geforderte weitergehende Erfassung der Arbeitszeiten ab. Zunächst sollte verfassungsrechtlich überprüft werden, ob der EuGH sich mit dem Urteil im Rahmen seiner Kompetenzen bewegt, da die EU-Arbeitszeitrichtlinie eine solche Aufzeichnungspflicht derzeit nicht regelt. Parallel ist zu prüfen, ob die EU-Arbeitszeitrichtlinie um Regelungen zur Arbeitszeiterfassung ergänzt werden sollte, damit der EuGH künftig nicht mehr die Rolle des Gesetzgebers übernehmen kann. Eine Ergänzung des deutschen Arbeitszeitgesetzes ist nach Auffassung der MIT nicht erforderlich.

Auch inhaltlich lehnt die MIT eine generelle Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ab, weil sie sowohl den modernen Flexibilitätswünschen der Arbeitnehmer zuwiderläuft als auch zu großer Bürokratie für Arbeitgeber führen würde. In letzter Konsequenz müsste auch jede kurzzeitige Unterbrechung der Arbeitszeit registriert und von dieser abgezogen werden. Die in Deutschland vorgeschriebene Erfassung von Überstunden und die bewährte Vertrauensarbeitszeit sind aus Sicht der MIT völlig ausreichend. Nicht mehr Bürokratie, sondern mehr Flexibilität sind nötig.

Die MIT setzt sich auch aus diesem Grund für eine Modernisierung des Arbeitsrechts ein, die die Möglichkeiten der Digitalisierung berücksichtigt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. Dafür sollen im Sinne der Arbeitnehmer die Möglichkeiten der mobilen Arbeit gestärkt werden.

Die MIT fordert:

  • Die in Deutschland bislang bestehende tägliche Höchstarbeitszeit soll abgeschafft und durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt werden, so wie es die EU-Arbeitszeitrichtlinie vorsieht. Dies führt nicht zu einer Ausweitung der Arbeitszeit, sondern nur zur Flexibilität.
  • Bei der vorgeschriebenen Mindestruhezeit sind Anpassungen an die betriebliche Realität und die veränderten Wünsche der Beschäftigten notwendig. Die Mindestruhezeit  soll auf Wunsch der Arbeitnehmer und unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes auch aufgeteilt bzw. unterbrochen werden können. Außerdem soll es weitere Flexibilisierungsmöglichkeiten durch tarifvertragliche Öffnungsklauseln und großzügigere Ausgleichszeiträume geben.
  • Auch künftig soll Vertrauensarbeitszeit im Rahmen des geltenden Arbeitszeitrechts möglich sein. Arbeitnehmer sollen also weiterhin selbstständig über Beginn und Ende der Arbeitszeit entscheiden, wenn der Arbeitgeber ihnen die Möglichkeit dazu einräumt.
  • Die Erfassung der Arbeitszeit soll auch durch die Arbeitnehmer erfolgen können, ohne dass dies permanent vom Arbeitgeber überwacht werden muss. Dabei muss ausreichen, dass die Arbeitnehmer nachvollziehbar darstellen können, dass sie die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die wöchentliche Höchstarbeitszeit eingehalten haben.

Begründung:

Der EuGH hat eine Aufzeichnungspflicht gefordert, obwohl der europäische Gesetzgeber diese in der EU-Arbeitszeitrichtlinie nicht vorgesehen hat. Es bleibt unklar, ob dieses Urteil unmittelbar wirken soll oder eine Aufforderung an den EU-Gesetzgeber oder nationale Gesetzgeber darstellt, die angebliche Regelungslücke zu schließen. Eine Bußgeldandrohung aufgrund einer nicht gesetzlich verlangten Pflicht ist verfassungsrechtlich bedenklich. Deshalb bedarf es einer umfassenden verfassungsrechtlichen Prüfung, ob das EuGH-Urteil in Deutschland überhaupt umgesetzt werden muss und kann.

Die vom EuGH verlangte Regelung selbst wäre unpraktikabel, bürokratisch und hätte mit der Realität in den Betrieben wenig zu tun. Sie würde in der Konsequenz noch zu weiteren Nachteilen für die Arbeitnehmer führen, weil dann auch jede kurzzeitige Unterbrechung der Arbeitszeit erfasst und von der Arbeitszeit abgezogen werden müsste.

Wenn es einer Aufzeichnungsregelung bedarf, sollte sie aber europaweit einheitlich erfolgen und müsste daher in der EU-Arbeitszeitrichtlinie geregelt werden.

Unabhängig von der Frage der Aufzeichnungspflicht muss das deutsche Arbeitsrecht modernisiert werden. Es stammt aus vordigitalen Zeiten und berücksichtigt die gewachsenen Anforderungen an eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht. Wenn derzeit ein Arbeitnehmer früher nach Hause möchte, um die Kinder beispielsweise von der Schule abzuholen und anschließend mit ihnen Zeit zu verbringen, dann ist es ihm nach derzeitiger Rechtslage nicht gestattet, abends zum Ausgleich dienstliche Mails zu beantworten und am nächsten Morgen vor Ablauf von elf Stunden Ruhezeit zum regulären Arbeitsbeginn zu erscheinen. Diese Einschränkung ist nicht im Sinne der Arbeitnehmer. Auch muss es möglich sein, dass spontan anfallende Projektarbeiten abgearbeitet werden, so lange die EUweit vorgeschriebene wöchentliche Höchstarbeitszeit nicht überschritten wird.