„Man kann gar nicht so viel essen, wie man sich übergeben möchte“, lautete das persönliche Fazit von David McAllister, der vor den Mittelständlern das Thema „Der Brexit - Eine historische Fehlentscheidung“ aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtete. Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Europaparlament und Vize-Präsident der Europäischen Volkspartei (EVP) ist auch persönlich von der Entscheidung betroffen, dass sich die Briten vor ziemlich genau zwei Jahren, am 23. Juni 2016, in einem Referendum knapp aber mehrheitlich gegen Europa und für den Brexit ausgesprochen haben - er hat neben der deutschen auch die britische Staatsbürgerschaft. „Erschwerend kommt hinzu, dass meine Familie aus Schottland kommt. Einem Land also, das sich mit einer klaren Mehrheit von 62 Prozent für den Verbleib in der EU ausgesprochen hat, aber aufgrund der Entscheidung der britischen Regierung ebenfalls raus muss. Das ist nicht einfach.“
So emotional der 47-Jährige seine persönlichen Ansichten vor den rund 150 Gästen im Forum der VerbundVolksbank OWL vortrug, so sachlich bewertete er die politische Dimension des Brexits und nahm dabei allen Hoffnungen auf eine Kehrtwende und einen „Exit vom Brexit“ den Wind aus den Segeln. „Eine Umkehr wird es nicht geben, denn die grundsätzliche Entscheidung zweifelt in Großbritannien kein Politiker an. Gestritten wird aktuell nur über die Details des Austritts. Und genau hier liegt das Problem, denn von britischer Seite kommt nicht viel, was Hand und Fuß hat“, betonte David McAllister. Dementsprechend sei ein Brexit ohne eine Vereinbarung zu den künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU immer noch im Bereich des Möglichen. „Das wäre der absolute Super-Gau. Die Folgen sind für die Briten ohnehin erheblich. Wenn sich beide Seiten nicht über einen Rahmen für die künftige Zusammenarbeit einigen können, würde das die Beziehung auf ein Niveau herabstufen, wie sie die EU aktuell mit einigen afrikanischen oder südamerikanischen Staaten verbindet“, mahnte McAllister. Dabei liege der Ball eindeutig im Feld Großbritanniens, das sich durch eigene rote Linien das Leben schwer mache und immer noch davon träume, sich die Rosinen herauszupicken. „Einen Brexit light hat die EU richtigerweise abgelehnt. Es gibt mit den Themen Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit dem Aspekt der Freizügigkeit des Arbeitsmarktes, der Außen- und Sicherheitspolitik, der Inneren Sicherheit und der themenbezogenen Zusammenarbeit vier Pfeiler, die als Basis der künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien definiert sein müssen“, erläuterte McAllister um dann noch einmal persönlich zu werden. „Das Vereinigte Königreich verlässt insgesamt 975 Abkommen, welche die EU mit Drittländern geschlossen hat. Darunter sind mehr als 50 Freihandelsabkommen. Alle diese Verträge muss London neu aushandeln und auf britisches Recht umschreiben. Es ist naiv zu glauben, dass künftige Verträge mit Australien oder Neuseeland die EU gleichwertig ersetzen können. Auch die USA zeigt aktuell eher die kalte Schulter. Derzeit leben und arbeiten eine Million Briten in der EU und 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien. Wir müssen also einen vernünftigen und tragfähigen Rahmen hinbekommen.“ Die Zeit für ein erfolgreiches Ende der Brexit-Verhandlungen rennt den Verhandlungspartnern allerdings davon. „Vieler EU-Beamte und Europaabgeordnete werden in diesem Sommer keinen Urlaub machen. In vier bis fünf Monaten muss der Rahmen fertig sein, denn am Austrittsdatum 30. März 2019 führt kein Weg vorbei. So steht es in den EU-Verträgen“, verwies der Europa-Politiker auf eine enge Zeitschiene.
Die deutsche Wirtschaft hat derweil noch etwas länger Zeit, sich auf die Folgen des Brexits einzustellen. Endgültig raus aus der EU ist Großbritannien nach einer Übergangsphase erst ab dem 1. Januar 2021. Für Dietmar Engel, Wirtschaftsprüfer und Experte für internationales Steuerrecht bei HLB Dr. Stückmann und Partner mbB in Bielefeld, ist das nur ein schwacher Trost: „Es herrscht eine große Unsicherheit bei den Unternehmen, speziell was die Anpassungen an das Steuerrecht und die anfallenden Mehrkosten angeht.“ Auch Frank Schürmann, Vorstand der unter anderem in Großbritannien ansässigen LEWAG Holding AG aus Beverungen, berichtete in der anschließenden Diskussionsrunde, dass der Brexit die Handelsbeziehungen nicht einfacher gemacht habe. Ulrich Lange, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU im Kreisverband Paderborn, brachte es auf den Punkt: „Die Entscheidung für den Brexit hat unabsehbare Konsequenzen für das Vereinigte Königreich. Unabsehbaren Konsequenzen aber auch für Europa und für uns in Deutschland, denn gemessen an der Wirtschaftskraft ist der Brexit gleichbedeutend mit dem simultanen Austritt von 19 der 28 EU-Länder. Dieser Austritt ist ein katastrophaler Unfall in der Geschichte der EU. Er zerstört die Nachkriegsordnung und lässt eine ziemlich lädierte EU zurück.“ Dementsprechend werde der Brexit auch bei der Mittelstandsvereinigung sicher nicht das letzte Mal zur Sprache gekommen sein.
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