Was tun gegen die Verödung der Innenstädte?

Datum des Artikels 23.02.2021
MittelstandsMagazin

Einige Unionspolitiker haben einen Fonds zur Rettung der Innenstädte vorgeschlagen. Dieser soll gegen die Verödung deutscher Innenstädte helfen. Die Idee, den Fonds unter anderem durch eine Paketsteuer zu finanzieren, wird von Verbänden und Kommunalpolitikern jedoch abgelehnt.

Läden und Geschäfte sind geschlossen, Restaurants und Bars sowieso. Weihnachtsmärkte sowie die meisten Veranstaltungen wurden abgesagt. Corona trifft Einzelhandel und Innenstädte hart. Das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln schätzt, dass der innerstädtische Einzelhandel im Dezember 2020 einen Umsatzverlust zwischen sechs und neun Milliarden Euro erlitten hat. Dabei ging es den Innenstädten schon vor der Krise schlecht. Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte schon Anfang 2019, also gut ein Jahr vor dem ersten Lockdown, in einem Brief an Innenminister Horst Seehofer ein Sofortprogramm gegen die Verödung der Innenstädte. „Früher attraktive und vitale Zentren verlieren an Zugkraft, vielerorts finden beunruhigend wenige Menschen den Weg in die Fußgängerzonen und Ladenzeilen“, schrieb HDE-Hauptgeschäftsführer und MIT-Mitglied Stefan Genth damals. Den Weg in die Fußgängerzonen sparen sich mittlerweile viele, weil sie sich die Produkte bequem nach Hause liefern lassen können. Der Online- und Versandhandel wächst seit zwei Jahrzehnten rasant. Die Folge: Der stationäre Einzelhandel leidet. Der stationäre Einzelhandel leidet darunter. Laut Zahlen des Handelsforschungsinstituts IFH Köln hat sich in den letzten fünf Jahren die Zahl der Standorte im deutschen Einzelhandel um rund 29000 verringert.

Innenstädte mit Paketsteuer retten? 

Diese Entwicklung ist nicht neu. Der Onlinehandel ist einer der Auslöser für marode Innenstädte, Corona nur ein Brandbeschleuniger. Der Online- und Versandhandel verzeichnete im Pandemiejahr für sich genommen ein Wachstum von 33,1 Prozent. Hingegen wuchs der Einzelhandel, dem der Onlinehandel zugerechnet wird, um lediglich 4,3 Prozent. Allein die Deutsche Post rechnet dieses Jahr mit 1,8 Milliarden beförderten Paketen. Dies entspricht einem Wachstum von etwa 15 Prozent im Vergleich zu 2019. Um die Innenstädte zu schützen, gab es innerhalb der CDU/CSU-Fraktion die Überlegung, einen Innenstadtfonds aufzulegen. Dieser sollte aus Steuergeldern, aber auch durch eine Paketsteuer finanziert werden. Diese neue Abgabe für den Onlinehandel sollte sich laut dem Papier in der Höhe proportional nach dem Bestellwert richten. „Mit den Einnahmen daraus wird der Onlinehandel an den Kosten von ihm genutzter kommunaler Infrastruktur beteiligt. Beseitigt wird damit die Schieflage gegenüber dem stationären Einzelhandel, der schon heute mit seinen Steuern erheblich zum Gemeindehaushalt beiträgt“, heißt es in dem Papier. Verfasst wurde es von den Abgeordneten Andreas Jung, dem stellvertretenden Vorsitzenden für Haushalt, Finanzen und Kommunales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sowie Christian Haase, dem kommunalpolitischen Sprecher der Fraktion.

Beim HDE stieß der Vorschlag auf Ablehnung: „Eine Paketsteuer träfe auch viele heimische Onlinehändler, die korrekte und pünktliche Steuerzahler sind“, argumentiert Stefan Genth. Es bringe nichts, die Vertriebskanäle gegeneinander auszuspielen. „Zudem wäre das ein Bärendienst gegenüber dem Drittel der stationären Händler, die sich ein Online-Standbein aufgebaut haben“, so Genth. Ulrich Lange, CDU-Bürgermeister von Bad Lippspringe und MIT-Kreisvorsitzender in Paderborn, formuliert es schärfer: „Das ist eine Berlin-Blasen-Idee.“ Der Diplom-Kaufmann war die meiste Zeit seines Berufslebens mit einer Marketingagentur selbstständig. Vor etwa drei Monaten wurde er zum Bürgermeister seiner Heimatstadt gewählt. Eine Paketsteuer wäre für ihn ein „staatlicher Eingriff, der den Strukturwandel im Einzelhandel sicherlich nicht aufhalten wird“. Um den Einzelhandel zu stärken, brauche es keine Strafsteuer. „Die Einzelhändler nutzen den Onlinehandel und die Digitalisierung für sich. Wir als Kommune unterstützen sie mit Fördermaßnahmen, aber auch mit Schulungen. Diese Strafsteuer würde nicht nur Amazon treffen, sondern auch den kleinen Händler hier vor Ort“, so Lange. „Damit würde ein Bürokratiemonster aufgebaut, das den Kommunen vor Ort überhaupt nichts bringt.“ Auch der MIT-Bundesvorsitzende Carsten Linnemann sprach sich gegen den Vorstoß seiner Fraktionskollegen aus.

Brücken durch die Krise

In dem Strategiepapier zum Innenstadtfonds finden sich neben der Paketsteuer noch weitere Ideen. So wird gefordert, die Städtebau-Förderung zu erhöhen. Ziel der Städtebauförderung ist es unter anderem, attraktive und zukunftsfähige Stadt- und Ortskerne zu schaffen. An der Finanzierung beteiligen sich in der Regel Bund, Länder und Kommunen zu gleichen Teilen. Vor allemwird aber auch gefordert, die Auszahlung von Coronahilfen zu beschleunigen und Einzelhändlern höhere Abschlagszahlungen zu gewähren. Außerdem wird kritisiert, dass die Steuererleichterungen des Bundesfinanzministeriums für Einzelhändler nicht ausreichend seien. „Bislang sind auch keine Maßnahmen zur Umsetzung durch das Bundesfinanzministerium bekannt. Stattdessen ist angesichts der anhaltenden Pandemie ein substanziell erweiterter Verlustrücktrag erforderlich“, schreiben die Verfasser Andreas Jung und Christian Haase. Künftig müsse es möglich sein, Verluste aus den Jahren 2020 und 2021 länger als ein Jahr zurücktragen zu können. Das würde es möglich machen, Verluste von heute mit den Gewinnen von gestern zu verrechnen. „Nur so kann schnell die Liquidität der Betriebe gesichert und damit der Ankündigung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz entsprochen werden“, heißt es in dem Fraktionspapier. Außerdem müsse endlich die Reform der Thesaurierung umgesetzt werden, mit dem Ziel, Gewinne steuerlich zu begünstigen, die wieder in den Betrieb investiert werden. „Wenn ein Einzelhändler Gewinne nicht privat ausgibt, sondern in die Zukunft seines Geschäfts investiert, dann verdient dies Unterstützung - auch im Steuerrecht!“, schreiben die CDU-Politiker. Und hier stimmen sie wieder überein mit den Wirtschaftspolitikern der Union. Beides sind auch Forderungen der MIT.

Was können die Kommunen tun?

Selbstverständlich hat sich auch die Bad Lippspringer Innenstadt verändert. „Es ist leerer geworden“, konstatiert Ulrich Lange. „Wir versuchen einiges, um dem entgegenzuwirken“, stellt er klar. Das könne aber nicht ausschließlich mit Hilfe des Einzelhandels gelöst werden. 17.000 Menschen leben in Bad Lippspringe. „In Relation zur Einwohnerzahl haben wir eine der längsten Fußgängerzonen Deutschlands. Die kann man nicht nur mit Handel beleben“, sagt er. Er spreche viel mit Immobilieneigentümern und versuche sie davon zu überzeugen, die Mietforderungen zu reduzieren. Aber auch verlässlich geplante verkaufsoffene Sonntage wären hilfreich. „Die bringen etwas, weil am Wochenende viele Gäste aus der Umgebung nach Bad Lippspringe kommen“, so Lange. Die Stadt habe mittlerweile die Möglichkeit, acht verkaufsoffene Sonntage pro Jahr durchzuführen. „Das planen wir aktuell auch mit der Hilfe von Rechtsanwälten. Dass muss leider sein, um der Gewerkschaft Verdi, die sich jedem verkaufsoffenen Sonntag entgegenstellt, etwas entgegensetzen zu können“, erklärt er. „Die verkaufsoffenen Sonntage sind für den Handel hier unheimlich wichtig und müssen bestehen bleiben“, mahnt Lange. An Weihnachten gab es in Bad Lippspringe ein Stadtwichteln. Die Bürger konnten Gutscheine eines Geschäftes im Wert von zehn Euro kaufen. Dann wurde gewichtelt und sie erhielten einen Gutschein im Wert von 15 Euro von einem anderen Geschäft. „Das sind Kleinigkeiten, mit denen eine Verwaltung viel dazu beitragen kann, dem Handel zu helfen und damit die Innenstadt attraktiver zu machen“, findet Lange. Neben Digitalisierungmaßnahmen sind auch interkommunale Kooperationen aus Sicht des Bürgermeisters wichtig: „Wir haben mit der Senne und dem Teutoburger Wald zwei Naturjuwelen vor der Haustür, die wir zusammen mit umliegenden Gemeinden für den Fahrrad- und Wandertourismus erschließen wollen.“ Auch davon erhofft er sich eine Belebung der Bad Lippspringer Innenstadt.

Eine ganz andere Idee, wie der stationäre Handel und die Innenstädte gefördert werden könnten, kommt aus Italien. Im Dezember startete dort die Probephase für „Cashback“: Alle teilnehmenden Bürger laden sich eine kostenlose staatliche App auf ihr Smartphone und bekommen bei bargeldloser Bezahlung im Ladenlokal, Restaurant oder Theater bis zu 10 Prozent des Umsatzes vom Staat erstattet, maximal 150 Euro pro Halbjahr. Italien will damit vor allem die Steuerhinterziehung bekämpfen. Aber da das System nur beim stationären Handel und nicht online funktioniert, fördert es zugleich Einkäufe in den Innenstädten.

Micha Knodt

Volontär 

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin (Ausgabe 1/2021)