Aktueller Status:
Die Folgen für unsere Wirtschaft sind unübersehbar. Das Wachstum wird im Jahr 2020 nach Prognose der Wirtschaftsinstitute stark einbrechen. Die Unternehmen der deutschen Wirtschaft werden Zeit brauchen, um an frühere Erfolge wieder anzuknüpfen. Die Corona-Pandemie ist deshalb eine Zäsur für die Wirtschaftspolitik in Deutschland. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen vernünftige Regeln vereinbaren können, um Wachstum zu ermöglichen und Arbeitsplätze zu sichern. In einigen Branchen waren bereits vor der Corona-Pandemie Strukturprobleme aufgetreten, die nach neuen Antworten und Ansätzen verlangen: in der Automobilindustrie mit dem Betrugsskandal, der Elektrifizierung des Antriebsstranges und im Rahmen der klimapolitischen Vorgaben, in der Stahlindustrie mit dem Preiswettbewerb mit Asien sowie im Handel mit der Ausweitung des Online-Handels gegenüber dem stationären Einzelhandel.
Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion hält eine Reformstrategie für unsere Wirtschaft für zwingend erforderlich. Damit Vertrauen in die Märkte wieder wächst und neues Wachstum generiert und verstetigt werden kann, müssen wir Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit auf den Weg bringen und insbesondere politisch bedingte Belastungen und Hemmnisse zu Lasten mittelständischer Unternehmen abbauen. Die nachfolgenden grundlegenden Gedanken leiten uns dabei:
- Es muss unser Anspruch sein, vor allem leistungsfähige mittelständische Unternehmen zu unterstützen. Jene Unternehmen, die vor der Krise erfolgreich waren, die unverschuldet von ihrem originären Wirtschaften abgehalten oder darin deutlich gebremst wurden, sind vor allen anderen zu fördern.
- Steuerliche und bürokratische Belastungen für Unternehmen müssen auf den Prüfstand gestellt werden, damit sie sich wieder mehr auf innovative und erfolgsversprechende Geschäftsmodelle im Wettbewerb konzentrieren können. Ergänzende Förderprogramme müssen so angelegt sein, dass sie auch für kleine Unternehmen verständlich, zugänglich und handhabbar sind.
- Wir wollen eine intelligente Wachstumsstärkung, die auch und vor allem eine Investition in die Zukunft darstellt. Wachstumsfördernde Reformen und Maßnahmen sollen Unternehmen befähigen, zukunftsträchtige Suchbewegungen zu neuen und verbesserten Geschäftsmodellen vorzunehmen. Wir müssen berücksichtigen, dass in einigen Branchen Verzögerungseffekte bei den krisenbedingten Auswirkungen eintreten werden. Staatliche Investitionen sollen vor allem infrastrukturelle Voraussetzungen für unternehmerisches Handeln verbessern.
- Die Angebots- und Nachfragebedingungen in der Gesamtwirtschaft sollen nicht nur branchenspezifisch, sondern insgesamt verbessert werden.
Für ein solches Wachstumsstärkungspaket haben wir die folgenden sechs potenziellen Maßnahmenfelder identifiziert:
1. Direkte und indirekte Steuer- und Liquiditätsmaßnahmen
Die Steuerlast deutscher Unternehmen und Unternehmer ist im nationalen Steuersystem sowie im internationalen Vergleich zu hoch und wirkt gerade nach einer Krise wachstumshemmend.
- Es ist jetzt an der Zeit, Steuersenkungen für Unternehmensgewinne gezielt anzugehen. Laut Bericht des BMF vom August 2019 („Die wichtigsten Steuern im internationalen Vergleich“, Rechtsstand 31.12.2018) liegt Deutschland bei der Besteuerung des Gewinns für Kapitalgesellschaften mit 29,89 % in der Spitzengruppe der Staaten – in negativer Hinsicht! Noch höhere Besteuerungen von Kapitalgesellschaften finden sich gemäß des o. g. Berichts lediglich in Japan, Frankreich und Malta. Der weitaus überwiegende Teil der in die Betrachtung einbezogenen Staaten besteuert den Gewinn von Kapitalgesellschaften mit weniger als 25 %. Jetzt müssen die Unternehmenssteuern auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau angepasst werden, damit die dadurch freiwerdenden Mittel in deutlichem Maße in das Wachstum der Unternehmen reinvestiert werden und somit direkt neue Steuereinnahmen generiert werden können. Abgesehen davon werden bestehende Arbeitsplätze gesichert und neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen.
- Einzelunternehmer und Gesellschafter von Personengesellschaften, die den weit überwiegenden Teil der Unternehmen in Deutschland ausmachen, sollen optieren können, wie eine Kapitalgesellschaft besteuert zu werden. In gleichem Maße sollte es Kapitalgesellschaften ermöglicht werden, wie Personengesellschaften besteuert zu werden (Prinzip der Rechtsformneutralität). Dieses im Konjunkturpaket vorgesehene Optionsmodell ist schnellstmöglich umzusetzen und sollte mit der Reform der Thesaurierungsbegünstigung gem. § 34a EStG verbunden werden, um allen Personengesellschaften das Optionsrecht in der Praxis auch zu ermöglichen.
- Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, sollen deutlich niedriger besteuert werden als heute. Sie stehen Investitionen und der Schaffung einer risikosenkenden Liquiditätsreserve unmittelbar zur Verfügung und schaffen somit Wachstum und Sicherheit für die Unternehmen. Daher sollte die Thesaurierungsbegünstigung gem. § 34a Einkommensteuergesetz mittelstandsfreundlich ausgestaltet werden.
- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind von der Krise zum Teil stark betroffen. Es herrscht eine hohe Verunsicherung in der Bevölkerung über den Fortgang der wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist jetzt an der Zeit, eine umfassende Reform zur Änderung des Einkommensteuertarifs zu initiieren und zugleich den Werbungskostenpauschbetrag zu verdoppeln. Ein „Mehr Netto vom Brutto“ führt zu größerer Konsumbereitschaft und steht damit dem deutschen Mittelstand unmittelbar als Umsatz wieder zur Verfügung.
- Der Solidaritätszuschlag ist kurzfristig und vollständig abzuschaffen sowie die Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge zur sofortigen Liquiditätsstärkung und zum Abbau unnötiger Bürokratie in den Unternehmen aufzuheben.
- Zusätzlich zum erweiterten Verlustrücktrag für 2020 und 2021 sollte für Unternehmen, die im Jahr 2019 noch Gewinne erwirtschaftet haben, die Möglichkeit einer „Corona-Rücklage“ geschaffen werden, welche den Gewinn 2019 mindert und anschließend in 2020 und ggf. 2021 aufzulösen ist. Weiterhin sollte die Mindestbesteuerung für den Verlustvortrag ausgesetzt oder vermindert werden.
- Die Besteuerung von Kostenelementen durch die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen (z. B. der Entgelte für Schulden oder der Finanzierungsanteile von Mieten und Leasing-Raten) belastet das Eigenkapital der Unternehmen. Gerade jetzt zeigen sich die fatalen Folgen dieser Substanzbesteuerung, wenn krisenbedingte Verluste das Eigenkapital bereits bedrohlich schmälern und es infolge der Hinzurechnungen gleichwohl zu einer Ertragsteuer Belastung kommt. Deshalb plädieren wir für eine deutliche Reduzierung der Hinzurechnungen zur Stärkung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen.
- Abschreibungsfristen sind zu verkürzen, um hohe Investitionen durch einen hohen Sofortabschreibungsanteil attraktiv zu machen. Überdies sollte auch die Abschreibungsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter deutlich erhöht werden. Die übrigen Schwellenwerte, Investitionsfristen und der Anwendungsbereich für den Investitionsabzugsbetrag sollten übergangsweise bis 2022 ausgeweitet werden. Indem mehr Kosten abgesetzt werden, erhöht sich die Bereitschaft zu investieren.
2. Finanzierung und Kreditvergabe
Damit Unternehmen aus der Krise heraus wieder in die Zukunft investieren können, müssen unnötige Hürden beiseite geräumt und die Unternehmensfinanzierung in die Lage versetzt werden, die Investitionen zu begleiten. Zwei wesentliche Engpässe bestehen bei der Darlehensvergabe für Unternehmen, die in ihre Zukunft investieren wollen: Die Prüfung durch die Banken erfolgt unter einem sehr starken Vorbehalt und einer sehr hohen Vorsicht. Banken haben die Vorgaben der KfW einzuhalten und müssen eine Risikoprüfung der Unternehmen vornehmen. Die Forderungen nach Stellung von Sicherheiten sind durch die Unternehmerinnen und Unternehmer oft nicht zu leisten. Wir setzen uns dafür ein, dass vor allem für leistungsstarke Unternehmen ein einfacherer Zugang zu Finanzierungen geschaffen wird. Das darf nicht an überzogenen Sicherungsanforderungen der Kreditwirtschaft scheitern. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Unternehmen sollte sich dabei an den Umsätzen und Gewinnen der Unternehmen aus den Vorjahren, also 2017 bis 2019, orientieren.
Die Risikosysteme, die in der Vergangenheit aufgebaut wurden, berücksichtigen eine Krise, wie die aktuelle Corona-Pandemie, nicht. „Basel I“ bis „Basel IV“ greifen hier zu kurz. Diese Regelungen zur Bankenaufsicht beinhalten insbesondere Vorschriften zur Eigenkapitalquote. Ziel der „Basel“-Vorgaben ist, Bankenpleiten – und damit letztlich Finanzkrisen – zu verhindern; sie sind also lediglich auf Absicherung ausgelegt. Die aktuelle Krise zeigt, dass die Finanzmarktregulierung nicht nur die Stabilität der Banken, sondern auch ihre Leistungs- und Handlungsfähigkeit zur Finanzierung der Wirtschaft im Blick haben muss. Die Rahmenbedingungen müssen hinreichend Spielraum bieten, damit Banken in einer solchen Krise nicht nur selbst stabil bleiben, sondern die Unternehmen auch effektiv durch die Krise begleiten können.
Liquiditätshilfen in Form von Krediten können allerdings nur vorübergehend eine Lösung darstellen. Neben den aktuellen Darlehensprogrammen der KfW mit bis zu hundertprozentiger Haftungsfreistellung müssen auch entsprechende und dabei flexibel handhabbare Angebotslinien der Bürgschaftsbanken und mittelständischen Beteiligungsgesellschaften sichergestellt sein. Das gilt insbesondere für Unternehmen mit bis zu 10 Mitarbeitern. Insbesondere für Unternehmen, deren Umsatzausfall kaum oder gar nicht nachgeholt werden kann, wird die zweite Hälfte des Jahres 2020 entscheidend sein. Hier könnten weitergehende staatliche Unterstützungsmaßnahmen in Form von Mezzanine-Kapital notwendig werden.
3. Investitionen
Hemmnisse und Unsicherheiten schmälern Investitionspotentiale gerade in privaten und gewerblichen Bereichen. Die Schaffung investitionsfreundlicher Rahmenbedingungen für mittelständische Unternehmen, indem Belastungen aus überzogenen Reglementierungen, Umweltvorschriften, Steuergesetzgebungen, Lohnpolitik und Bürokratie abgebaut werden, ist ein wesentliches Erfolgskriterium von Unternehmen. Für viele öffentliche Investitionen ist man auf leistungsfähige Kommunen angewiesen. Hier droht in den kommenden Jahren eine gewaltige Schieflage.
- Wir setzen uns für schnellere und stärkere Investitionen in die öffentliche Infrastruktur ein: Schienen-, Straßen-, Breitband-, und Mobilfunkinfrastruktur, öffentliche Bildungseinrichtungen sowie die Förderung der gesamten kommunalen Infrastruktur. Die Kommunen sind, durch den Wegfall von Steuereinnahmen bedingt, von der Corona-Pandemie erheblich betroffen. Durch die Aufstockung von Förderquoten oder gezielte Förderprogramme können wir flächendeckend Investitionen anregen und würden gleichzeitig die Kommunen unterstützen. Diese Investitionen würden in der Fläche auch dem Mittelstand zu Gute kommen und bezogen auf viele Branchen für Planungssicherheit sorgen.
- Investitionen, die dem Klimaschutz in besonderem Maß dienen, sollen bevorzugt werden. Die energetische Infrastruktur (Stromtrassen, Offshore-Anlagen, Wasserstofftankstellen) verdient dabei besondere Berücksichtigung. Klimaschutzbezogene Investitionen müssen grundsätzlich darauf beruhen, dass wir marktwirtschaftlichen Wettbewerb über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) stellen.
- Wir setzen uns dafür ein, Investitionsinstrumente (Anleihen, Venture Capital, Fonds, Crowdfunding) – ergänzend zu Darlehen und Bürgschaften – mit wirkungsgleichen Folgen zu fördern. Durch eine staatliche Absicherung und Förderung von Finanzdienstleistungen könnte die Versorgung von mittelständischen Unternehmen, Selbständigen und Freiberuflern mit den für sie erforderlichen Investitionen in Betriebsmittel sichergestellt werden.
- Um die Verschuldung und die Verschlechterung der Bonität der mittelständischen Unternehmen zu verhindern, sind weitere Instrumente, die die Liquidität von Unternehmen verbessern und die Investitionen von Unternehmen stimulieren, zu unterstützen. Zu solchen förderwürdigen Investitionsformen können Finanzdienstleistungen gehören, insbesondere dann, wenn sie in ihrer Wirkung einen vergleichbaren Investitionsschub für Unternehmen liefern wie Finanzierungsinstrumente. Beispielsweise sind Leasing und Mietkauf wichtige Instrument für den investierenden Mittelstand. Leasing belastet die Bilanz der Unternehmen nicht. Zusätzlich stellen diese Finanzdienstleistungen wichtige Instrumente der Absatzförderung für produzierende Unternehmen und Hersteller dar.
- Wir setzen uns dafür ein, ergänzend zu Finanzierungsinstrumenten auch Investitionsinstrumente zu fördern. Durch eine staatliche Absicherung von Ausfallrisiken des Mittelstandes und die Förderung von Finanzdienstleistungen könnte die Versorgung von mittelständischen Unternehmen, Selbständigen und Freiberuflern mit den für sie erforderlichen Investitionen in Betriebsmittel sichergestellt werden.
4. Förderungen
Einer der wesentlichen Engpässe bei Förderungen von Investitions-, Innovations- und Forschungsvorhaben ist deren Undurchsichtigkeit für den Mittelstand sowie die vergleichsweise lange Zeit zwischen Idee, Beantragung und Bescheid. Jetzt, in der Phase der Wachstumsstärkung, ist ein leicht verständliches Förderpaket vonnöten, das Anreize setzt und ergebnisoffene Suchprozesse im Wettbewerb fördert. Folgende Faktoren sind in den Fokus zu nehmen:
- Die Förderung neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Dies sollte mit der Verpflichtung einhergehen, diese Arbeitsplätze mindestens über einen Zeitraum von 2 Jahren zu erhalten. Hierauf sollte auch eine Modernisierung der Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GWB) abzielen.
- Die Förderung digitaler Teilhabe am Schulunterricht. Jeder Schüler soll die Möglichkeit haben, digital am Unterricht teilzunehmen, wenn Präsenzunterricht nicht möglich ist. Dafür bekommt jeder Schüler einen Rechtsanspruch auf ein Leih-Tablet, inkl. entsprechender Software. Außerdem muss jeder Lehrer mit einem Tablet oder Notebook für Fernunterricht ausgestattet werden. Sofern Eltern keinen schnellen Internetzugang haben und nicht über die finanziellen Möglichkeiten verfügen, einen solchen einzurichten, muss ihnen ein entsprechender Anschluss bezuschusst werden. Lehrer sollen verpflichtet werden, regelmäßig Digitalkompetenz zu erwerben bzw. zu erweitern. Sämtliche Schulen müssen mit Videokonferenz-Möglichkeiten in Klassenzimmern ausgestattet werden
- Die Würdigung neuer Ausbildungsplätze. Unternehmen, die zusätzliche Ausbildungsplätze anbieten, sind zu fördern. Aktuell kommt es angesichts der Pandemie zudem darauf an, das bestehende Engagement der Ausbildungsbetriebe überhaupt zu stabilisieren. Um die Betriebe im Rahmen ihrer Ausbildungsleistungen zu entlasten, könnten die Rahmenbedingungen für Auszubildende an die für Studenten angeglichen werden, indem z.B. auch für Auszubildende in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung eine beitragsfreie Familienmitversicherung bis zum 25. Lebensjahr möglich wird. Auch die Förderung der sog. beruflichen Bildungsinfrastruktur muss vor den Herausforderungen und Änderungen althergebrachter Berufsbilder erweitert werden.
- Die Förderung von neuen Vorhaben durch gezielte Forschung und Entwicklung (F&E). Die Herausforderungen des Wettbewerbs in Industrie, Dienstleistung und Handwerk werden wir nur mit Innovationen bestehen können. Damit sprechen wir ausdrücklich nicht nur technische Innovationen, sondern auch Dienstleistungsinnovationen an. Wir begrüßen die befristete Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung. Wir fordern darüber hinaus eine Mittelerhöhung der Programme ZIM und Innocom für mittelständische Unternehmen sowie für die industrielle Gemeinschaftsforschung. Die für den Mittelstand besonders wichtige themen- und technologieoffene Projektförderung muss verstärkt werden. Während viele traditionelle Förderprogramme Kostenzuschüsse darstellen, treten wir dafür ein, einen Teil der Förderung von den erzielten, im Unternehmen verbliebenen Gewinnen, abhängig zu machen. Es soll nicht Anreiz sein, möglichst hohe Kosten mit fragwürdigem Nutzen zu generieren und zu fördern, sondern wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit zu unterstützen. Das Resultat, nicht der Prozess, soll belohnt werden.
- Die Förderung und Neuausrichtung von Wertschöpfungsketten. Viele Wertschöpfungsketten werden auch im Mittelstand derzeit überdacht. Wir möchten Anreize dafür setzen, in den jeweiligen unternehmerischen Wertschöpfungsketten einen europäischeren Ansatz zu finden, um den europäischen Binnenmarkt zu stabilisieren. Der Boden dafür ist aktuell bereitet. Zahlreiche Unternehmen denken bereits darüber nach, die Produktion oder Teile davon wieder näher am heimischen Standort stattfinden zu lassen. Dies stärkt den europäischen Gedanken und die logistischen Implikationen werden auch eine positive Umweltauswirkung haben. Dieser Fokus soll ausdrücklich keine Einschränkung des weltweiten wirtschaftlichen Wirkens bedeuten. Gerade der Mittelstand hat in Bezug auf europäische Wertschöpfungsketten, vor allem produktions- und beschaffungsseitig, noch erhöhten Kenntnis- und Erfahrungsbedarf.
- Nach der Corona-Pandemie müssen wir den Nutzen der Globalisierung und des europäischen Binnenmarktes gegen nationalistischen Populismus verteidigen. Zugleich müssen wir im Zuge der Stabilisierung von Liefer- und Wertschöpfungsketten auch prüfen, inwieweit regionale Wertschöpfung gestärkt werden kann. Dafür müssen die Förderinstrumente der GRW sowie GAK dahingehend reformiert werden, dass die Ansiedlung von KMU auch dann förderfähig ist, wenn kein überregionaler Exportschwerpunkt vorliegt. Auch kleine Unternemen sollen über die Grundförderung hinaus in die Förderung einbezogen werden. Baurecht und Städtebauförderung sollten darauf überprüft werden, inwieweit sie Hemmnisse für Gewerbeansiedlungen und damit für lokale Versorgungsstrukturen beinhalten.
5. Öffentliche Ausschreibungen
Der im Vergaberecht diskutierte Aspekt des Leistungswettbewerbs um öffentliche Aufträge wird in der Praxis ausgehebelt. Es ist vorgesehen, dass eine Leistungsfähigkeitsprüfung des Anbieters und eine wirtschaftliche Prüfung des Angebotes erfolgen. Wir erkennen an, dass auch die öffentlichen Auftraggeber mit ihren Investitionen haushalten müssen, fordern aber eine stärkere Betonung des Leistungswettbewerbs. Insbesondere heimische Unternehmen haben bei zugesicherter Leistungserbringung vor allem bei umfangreichen europäischen Ausschreibungsverfahren gegen Unternehmen aus Ländern mit einem erheblich geringeren Lohnniveau oft keine Chance, einen Auftrag zu erhalten. Aber auch der Wettbewerb zwischen deutschen Unternehmen ist oft durch den Angebotspreis als nahezu ausschließliches Kriterium gekennzeichnet. Die Folge sind nicht selten teure Nachträge nach Vergabe im Leistungsprozess.
- Wir setzen uns für ein Vergabeverfahren ein, das dem Grundgedanken der Balance aus formalen, wirtschaftlichen und leistungsbezogenen Aspekten stärker gerecht wird und dabei den mittelstandsspezifischen Erfordernissen genügt. Dies würde insbesondere den baunahen Bereichen und dem Fachhandel zugutekommen.
- Kritische (krisensensible) Produkte, Dienstleistungen und Infrastruktur bedürfen einer besonderen Betrachtung und müssen im deutschen Interesse vor dem Zugriff fremder Mächte und Wettbewerber in einem ausreichenden Maß geschützt werden. Ausschreibungen müssen sicherstellen, dass Produkte wie Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel im Krisenfall kurzfristig beziehbar sind. Erforderlich ist auch eine angemessene staatliche Bevorratung bestimmter Güter für den Krisenfall. Der Mittelstand ist an diesen Ausschreibungen angemessen zu beteiligen (Mittelstandsklausel). Bestimmte Arzneimittel und Impfstoffe müssen autark für die Beschaffung in Deutschland für den Staat zugänglich sein.
- Die Wertgrenzen für freihändige Vergabe sind zu erhöhen. Haushaltsvorschriften von Bund und Land sollen eine schnellere Begleichung von Rechnungen gewährleisten.
- Mit einer besonderen Startup-Klausel im Vergaberecht soll es möglich werden, dass auch innovative neue Unternehmen mit digitalen Lösungen eine Chance haben, sich an der Auftragsvergabe zu beteiligen, auch wenn sie noch nicht über die nötigen Referenzprojekte verfügen.
6. Belastungsabbau und Freiheitszuwachs
Über Entbürokratisierung wird viel gesprochen. In der Praxis merkt der Mittelstand davon wenig. Die bisherigen Bürokratieentlastungsgesetze dürfen nur der Beginn sein. Die Bestrebungen zum Bürokratieabbau müssen konsequent fortgesetzt werden - das heißt konsequente Identifizierung vorhandener Entlastungspotenziale, spürbare Reduzierung vorhandener und strikte Vermeidung neuer bürokratischer Belastungen. Jetzt ist die Zeit zu hinterfragen, ob alles, was dem Mittelstand derzeit an Berichts- und Dokumentationspflichten auferlegt wird, auch künftig abgefordert werden muss. Statt dem Mittelstand mit Misstrauen und Kontrolle zu begegnen, setzen wir auf Vertrauen. Nicht jede Absicherung, die möglich ist, ist auch angemessen. Statistische Erhebungen, Berichts-, Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten, konventionelle statt elektronischer Prozesse, statuserhaltende Schulungspflichten, steigende Schutz-Anforderungen: Wir müssen auf den Prüfstand stellen, was mittelständische Unternehmen davon abhält, ihr Leistungsspektrum voll auszuschöpfen. Und insgesamt muss die Verwaltung schneller und kundenfreundlicher werden.
- Wir benötigen umgehend einen Verzicht auf die Etablierung neuer Informationspflichten und die Prüfung bereits vorhandener auf deutscher und europäischer Ebene (Moratorium).
- Die Bundesregierung muss sich in Europa dafür einsetzen, überzogene bürokratische Belastungen, die ihre Grundlage in europäischem Recht finden, abzubauen.
- Wir fordern einen „One-stop-shop“ für sämtliche Informationen, die Unternehmen gegenüber Behörden vorzuhalten haben. Behörden haben sich danach sämtliche Informationen aus dem Datenportfolio des Unternehmens selbst zu ziehen. Unternehmen liefern regelmäßig in einem Format Daten in ihr Datenportfolio. „One-stop-shops“ könnten über die Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und berufsständische Organisationen umgesetzt werden. Die mittelbare Staatsverwaltung mit Selbstverwaltungstätigkeit ist prädestiniert für die Übernahme solcher Aufgaben. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Digitalisierungsdefizite, die sich in der Corona-Pandemie deutlich gezeigt haben, rasch und substanziell behoben werden.
- Alle Gesetze, die Bürger oder Unternehmen zusätzlich bürokratisch belasten, sollen nach drei Jahren automatisch auslaufen. Sie müssen dann jeweils neu beschlossen werden, wenn sie fortgelten sollen.
- Unternehmensgründer sollen sich in den ersten Jahren vor allem auf den Aufbau ihres Geschäfts konzentrieren können. Sie sollen deshalb weitgehend von Bürokratie entlastet werden und im Rahmen einer „Gründer-Schutzzone“ von Auflagen im Steuer- und Arbeitsrecht, bei Melde- und Statistikpflichten bzw. mindestens von möglichen Bußgeldern bei fahrlässigen Verstößen befreit werden. Außerdem sollen Gründer bei UWG-Abmahnungen gegen fahrlässige Erstverstöße von Kostenerstattungspflichten befreit werden.
- Die Einigung von Bund und Ländern zur Schaffung eines Unternehmenskontos auf Basis von „Elster“ ist ein guter erster Schritt. Gleiches gilt für die Arbeiten an der beabsichtigten Registermodernisierung und am Online-Zugangs-Gesetz (OZG). Wir fordern die zügige Realisierung des Unternehmenskontos sowie eine schnelle Registermodernisierung, damit der Grundsatz der einmaligen Datenerfassung für die digitale Abwicklung von Verwaltungsverfahren realisiert werden kann. Denn es ist nicht mehr zeitgemäß, dass Unternehmer mit der Einreichung von Unterlagen belastet werden, die im Bereich der Verwaltung bei registerführenden Stellen bereits vorliegen. Über das Unternehmenskonto würde die Authentifizierung bei Behördenportalen zudem erheblich erleichtert und die Eingabe redundanter Daten vermieden. Die Umsetzung der Vorgaben des Onlinezugangsgesetzes, ihre Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale auch digital anzubieten, muss im Bereich der öffentlichen Verwaltung mit oberster Priorität vorangetrieben werden, da eine moderne digitale Verwaltung ein zentraler Standortfaktor ist. Die berufsständische Selbstverwaltung ist in alle unternehmensrelevanten Umsetzungskonzepte eng einzubeziehen.
- Sämtliche Verwaltungsvorgänge sind im Kontakt zu Bürgern und Unternehmen zu digitalisieren. Ab 1. Juli 2021 müssen überall Online-Anträge zulässig sein. Diese müssen innerhalb einer Frist – je nach Komplexität – von vier bis zwölf Wochen online beschieden werden, anderenfalls gelten die Anträge als genehmigt.
- Wir fordern, Arbeitszeiten ohne eine Frist zu flexibilisieren. Das Wachstum, das wir jetzt in der Wirtschaft benötigen, erfordert eine außerordentliche Flexibilität bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die MIT fordert, die in Deutschland geltende tägliche Höchstarbeitszeit durch eine wöchentliche Regelung zu ersetzen. Ausnahmen von den gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten sollen ermöglicht und flexibler gestaltet werden können. Für Mehrarbeit müssen sowohl die Möglichkeit der Vergütung als auch die des „Ansparens“ im Rahmen von Arbeitszeitkonten gegeben sein. Es sollte geprüft werden, ob Abweichungen vom derzeitigen Arbeitszeitgesetz, die mit der COVID-19-Arbeitszeitverordnung befristet eingeführt wurden, über den 31.07.2020 hinaus fortgelten und dauerhaft übernommen werden sollten. Unser Land benötigt auch nach der Krise ein zeitgemäßes Arbeitszeitrecht. In einem ersten Schritt sollen zumindest diejenigen Arbeitgeber die Möglichkeiten der flexibleren Arbeitszeitnutzung nutzen können, die eine elektronische Zeiterfassung für ihre Mitarbeiter einführen.
- Minijobs bedeuten Flexibilität für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vieler mittelständischer Betriebe. Die Einführung des Mindestlohns und dessen regelmäßige Erhöhung bei einer zeitgleich starren Hinzuverdienstgrenze beraubt dieses Arbeitsmodell seiner Flexibilität und Attraktivität. Die maximale Hinzuverdienstgrenze für Minijobs soll deshalb so schnell wie möglich von 450 Euro auf 550 Euro pro Monat erhöht werden. Dabei sollen die Hinzuverdienstgrenzen zukünftig mindestens einmal pro Legislaturperiode an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst werden.
- Werkverträge (§ 631 BGB) und Arbeitnehmerüberlassung müssen erhalten bleiben. Durch Globalisierung, Digitalisierung und Entwicklung ist unsere Arbeitswelt im stetigen Wandel und wird immer komplexer. Die klassische Erwerbsbiografie bei der das Arbeitsleben zum größten Teil in einem Beruf und in einem Unternehmen stattfindet, ist schon heute nicht mehr die Regel. Die Bedeutung von Werk- und Dienstverträgen wird durch projektbezogenes und flexibles Arbeiten sowie durch komplexere Arbeitsprozesse noch mehr an Bedeutung gewinnen. Eine gesetzliche Einschränkung ihrer Nutzung wäre deshalb nicht nur in Zeiten von Corona kontraproduktiv für den Arbeitsmarkt und würde tief in unternehmerische Freiheit eingreifen. Einschränkungen von Werkverträgen und Arbeitnehmerüberlassung lehnen wir aus wirtschaftlicher, verfassungs-, und europarechtlicher Sicht ab.
- Wir fordern ein Ende der immer höheren Belastungen des Produktionsfaktors Strom durch immer weiter steigende Energiekosten. Dazu sollte eine EEG-Reform eingeleitet werden, die eine reale, spürbare Kostenentlastung für Privathaushalte und Unternehmen mit sich bringt.
7. Solide Staatsfinanzen und Sozialversicherungen
Die solide Finanzpolitik der vergangenen Jahre mit Reduzierung der Neuverschuldung bis hin zur „schwarzen Null“ haben dem deutschen Staat die Handlungsmöglichkeit gegeben, die es in der Krise jetzt braucht. Dies garantiert wirtschaftliche Stabilität. Deutschland muss den in der Coronakrise aufgehäuften Schuldenberg schnellstmöglich wieder abbauen. Zugleich müssen die Sozialversicherungen zukunftsfest gemacht werden. Die Beiträge für Arbeitgeber und Arbeitnehmer dürfen nicht erhöht werden.
- Wir fordern, dass ab 2022 keine neuen Schulden mehr gemacht werden (Einhaltung der Schuldenbremse und Rückkehr zur „Schwarzen Null“) und die coronabedingten Schulden innerhalb von 10 Jahren getilgt werden. Bis spätestens 2032 muss Deutschlands Defizit wieder unter der 60-Prozent-Marke liegen.
- Künftige Steuermehreinnahmen müssen für Schuldentilgung, Entlastungen und Zukunftsinvestitionen verwendet werden. Sobald die Steuereinnahmen wieder steigen, muss eine Drittel-Regelung gelten: Ein Drittel der Mehreinnahmen müssen in Schuldentilgung fließen, ein Drittel in steuerliche Entlastung und ein Drittel in Zukunftsinvestitionen.
- Die Sozialversicherungen müssen finanziell wieder stabilisiert werden, gleichzeitig dürfen die Beiträge nicht steigen, um Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht zusätzlich zu belasten. Wir fordern eine dauerhafte Obergrenze für die Sozialbeiträge auf 40 Prozent. Leistungsausweitungen müssen daher weitgehend durch Einschränkungen an anderer Stelle oder zielgerichtetere Förderung kompensiert, versicherungsfremde Leistungen müssen konsequent von den Sozialversicherungen auf den Staat verlagert werden.
8. Strukturelle Reformen, um den Staat zu modernisieren
Um Deutschland optimal aufzustellen, müssen wir den Mut haben, quer zu denken. Viele Strukturen entstammen anderen Zeiten und passen heute nicht mehr.
- Die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern müssen neu verteilt, die Finanzierung muss neu geregelt werden. Wir brauchen eine Föderalismusreform III. Die bisherigen Reformen waren unzureichend. Es muss in bestimmten bundesweit relevanten Aufgabenbereichen wie Bildung und Digitalisierung einheitliche Standards geben. Für solche Bereiche muss der Bund nicht nur eine Co-Finanzierungskompetenz bekommen, sondern auch die Standards setzen und die Einhaltung der Ziele überwachen können. Der Weg zu diesem Ziel bleibt in der Kompetenz der Länder, die dazu miteinander im Wettbewerb stehen. Allgemeinen Mischfinanzierungen wie bei der Umsatz- und Einkommenssteuer sollen reduziert werden, und im Gegenzug sollen die Länder eigene Hebesatzrechte für ihre Anteile bekommen. Damit werden Verantwortlichkeiten klarer: Wer hohe Ausgaben beschließt oder wie bei gebührenfreien Kitas auf Einnahmen verzichtet, muss dies durch eigene höhere Steuersätze beim Länderanteil der Umsatz- oder Einkommensteuer finanzieren.
- Es muss die Möglichkeit geben, Alternativen zur aktuellen Regulierung auszuprobieren oder neue Ideen auch ohne langwierige Gesetzgebungsänderungen durchzusetzen. Ab sofort soll für jedes Gesetz geprüft werden, ob es mit einer Experimentierklausel versehen werden kann, die es erlaubt, in festgelegten Bereichen (z. B. bestimmte Unternehmensgrößen, bestimmte Regionen) von dem Gesetz abzuweichen, um etwas auszuprobieren. Über die Erfahrungen muss jährlich gegenüber dem Bundestag berichtet werden.
- In den Ministerien von Bund und Ländern dürfen keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden und keine weiteren Verbeamtungen erfolgen. Für neue Aufgaben, für die Stellen benötigt werden, müssen in anderen Bereichen Stellen abgebaut werden. Stellenneubesetzungen in Ministerialverwaltungen sollen grundsätzlich nur noch über Festanstellungen erfolgen. Dafür soll es mehr Flexibilität bei der Vergütung für Angestellte geben. Spezielle Fachkräfte sollen mit marktgerechten Vergütungen geworben und gehalten werden können.
Zusammenfassung
Klar ist: Beihilfen und Zuschüsse, die im Zeichen der Corona-Pandemie vom Staat gewährt wurden, sind eine Brücke - aber kein Programm. Wir wollen die Kräfte der sozialen Marktwirtschaft neu entfesseln. Der deutsche Mittelstand lebt vom Wettbewerb in Rahmenbedingungen, in denen er seine besonderen Stärken wie Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft entfalten kann.
Dafür wollen wir uns als Mittelstands- und Wirtschaftsunion auf allen staatlichen Ebenen in Deutschland und Europa einsetzen. Wir fordern, dass diese Maßnahmen in einem Wachstumsstärkungsgesetz beschlossen und zeitnah umgesetzt werden. Deutschland kann mit Mut und Zuversicht die Folgen der Corona Pandemie überwinden und zu neuem Wachstum finden.
Im Regierungsprogramm von CDU
Im Regierungsprogramm von CDU und CSU wird in Z. 1376 gefordert, die EEG-Umlage abzuschaffen.