Telefonische Krankschreibung abschaffen

Datum des Artikels 19.06.2024
Beschluss

BESCHLUSS DES MIT-BUNDESVORSTANDS VOM 11. JUNI 2024

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) fordert, die Möglichkeit eine Arbeitsunfähigkeit nach telefonischer Anamnese festzustellen, aufzuheben. Dafür soll § 92 Absatz 4a Satz 5 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) wie folgt ersetzt werden:

„Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt bis zum [nächstmögliches Datum einsetzen] in den Richtlinien nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 7 Regelungen zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bei Erkrankungen nach telefonischer Anamnese aufzuheben.“

Begründung:

Die Möglichkeit einer rein telefonischen Anamnese war in der Corona-Pandemie ein geeignetes Mittel, um sowohl das medizinische Personal als auch andere Patienten vor Ansteckung zu schützen und einer Überlastung der Praxen entgegenzuwirken.

Die Weiterführung der rein telefonischen Anamnese nun im „Normalbetrieb“ ist aber weder geboten noch sinnvoll. Dem Wunsch, gerade Hausarztpraxen von „Standardprozessen“ zu entlasten steht die wirtschaftliche Realität entgegen: Nach Corona sind in Deutschland Jahr für Jahr höhere Krankenquoten und eine höhere Anzahl von Krankentagen zu verzeichnen. Die Zahlen des ersten Quartals 2024 (6,8% Krankenstand GKV) lassen auch für dieses Jahr einen neuen Negativrekord erwarten.

Diese Entwicklung hat multiple Ursachen und kann nicht mit einer einzigen Maßnahme behoben werden. Der hohe Krankenstand wird unter anderem auf Nachholeffekte bei Erkältungskrankheiten, die Zunahme chronischer Erkrankungen, zahlreiche Krisen der letzten Jahre, die die Menschen zunehmend psychisch belasten, und die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zurückgeführt, wodurch nun auch alle kurzfristigen Erkrankungen in die Statistik einfließen. Aber: Es entspricht nicht nur der allgemeinen Lebenserfahrung, sondern ist belegt: Nicht jede Krankmeldung attestiert eine Erkrankung, die eine Arbeitsunfähigkeit verursacht.

So belegt durch eine umfangreiche Studie der BKK Pronova. Bei der Frage nach der sog. „Bettkantenentscheidung“ gaben lediglich 36% der Befragten an, sich tatsächlich nur dann krank zu melden, wenn wirklich Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Demgegenüber geben 59% der Befragten an, sich häufig (10%), manchmal (23%) oder zumindest selten (26%) trotz Arbeitsfähigkeit krank zu melden.

Auch führende Wissenschaftler wie beispielsweise Prof. Dr. Nicolas Ziebarth, Leiter der Forschungsstelle „Arbeitsmärkte und Sozialversicherung“ am Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung weisen darauf hin, dass die Krankenquote in Deutschland nichts über den tatsächlichen Krankenstand aussage. Es sei vielmehr die Trias aus im internationalen Vergleich großzügiger Lohnfortzahlung, der geringen Sorge vor Jobverlust bei Erkrankung und Fehlentwicklungen wie der telefonischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die Grund für die hohe und weiter steigende Krankenquote in Deutschland seien.

Die oben zitierte „Bettkantenentscheidung“ („Gehe ich zur Arbeit oder melde ich mich krank?“) fällt umso leichter zugunsten der Krankmeldung, je leichter eine geforderte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erwirkt werden kann. Wenn selbst das „Aufstehen, Anziehen, zum Arzt fahren, in der Praxis Wartezeit in Kauf nehmen und der unmittelbare Kontakt zum Arzt“ wegfallen und durch einen simplen Telefonanruf von zuhause aus ersetzt werden, wird die Entscheidung gegen die Arbeit noch weiter erleichtert.

Wirklich erkrankte Beschäftigte haben durch die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung keinen Nachteil: Sie sollten in ihrem eigenen Interesse eine Arztpraxis aufsuchen oder sich im Rahmen einer Videosprechstunde ärztlich untersuchen lassen. Denn nur so kann sichergestellt werden, dass Symptome nicht fehlinterpretiert werden und das Krankheitsbild sich nicht chronifiziert oder verschlimmert.