So friedlich und reizvoll die Landschaft, so gereizt seine Bewohner, wenn es um die Aufarbeitung des Krieges nach dem Zerfall des Vielvölkerstaates Jugoslawiens und der Gründung neuer Staaten zu Beginn der 90-er Jahre auf dem Balkan geht. Die Mittelstandsvereinigung der Paderborner CDU hat sich während einer Studienreise nach Montenegro und Kroatien davon überzeugen können, wie sehr ethnisches Denken und Handeln noch auf Jahre hinaus das Leben der Menschen dort beeinflusst. Landung auf dem Flughafen von Dubrovnik, UNESCO-Weltkulturerbe und Perle an der Adria. Dann per Bus weiter über die Grenze nach Montenegro, einem Zwergstaat von der Größe Schleswig-Holsteins mit gerade mal 620.000 Bewohnern, davon ein Viertel Serben. Die zerbombten Häuser sind hüben wie drüben längst wiederaufgebaut worden, aber das Misstrauen gegenüber den Nachbarn ist geblieben und, wie es scheint, lebendiger denn je. Kaum eine Familie, die nicht unmittelbar unter den Kriegsfolgen zu leiden hatte. Rund 130.000 Tote und Vermisste waren zu beklagen, darunter viele Zivilisten. 2,3 Millionen Menschen mussten aus ihrer Heimat fliehen. Aber es wird in den Parlamenten wieder heftig gestritten über jeden Fetzen Land, über Korridore, Zusammenlegungen von Landesteilen und über Grenzen ganz allgemein. Die Gegensätze zwischen Kroatien und Montenegro könnten nicht größer sein. Hier die touristisch schon zu Zeiten Titos gut ausgebaute touristische Infrastruktur, im kleinen Montenegro dagegen ist alles noch etwas urwüchsiger und im Aufbau begriffen. Kroatien ist das jüngste EU-Land, hat aber mit dem „Kuna“ eine eigene Währung. Montenegro hat ihn sich schon genommen den Euro und – auch ohne Mitglied im Euroraum zu sein – 2002 als Fremdwährung stillschweigend eingeführt. Die Grenzkontrollen sind streng, schließlich muss Kroatien hier die EU-Außengrenze sichern. Auch der MIT-Bus wird gewissenhaft begutachtet. Nebenan steht ein Leichenwagen, in dem Hunde nach versteckten Drogen schnüffeln. „Hat es Ihnen denn gefallen in Montenegro?“, fragt der kroatische Zollbeamte bei der Rückkehr, während er gewissenhaft die Pässe kontrolliert. Man weicht dieser heiklen Frage doch lieber aus. In Montenegros Hauptstadt Podgorica begrüßt der deutsche Botschafter Hans Günther Mattern (59) die Gruppe. Ein Rheinländer mit vielen Stationen auf seinem diplomatischen Weg, unter anderem in Kolumbien, Mexiko, Aschgabat/Turkmenistan, Kabul und Bern. Seit einem Jahr leitet er die Botschaft in Podgorica. Keine leichte Aufgabe, denn die Zerrissenheit innerhalb der Bevölkerung und der Politik ist deutlich spürbar. „Die Opposition, bestehend aus Bosniaken, Kroaten und Albanern, verweigert jegliche Teilnahme an Parlamentssitzungen. So bleiben die 42 Mitglieder der Demokratischen Partei der Sozialisten seit Monaten unter sich im Parlament und machen alles im Alleingang.“ Der Grund für den Boykott, der bis zur Neuwahl 2020 andauern könnte: Die Opposition zweifelt an der Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses. Gleichwohl, so der Botschafter, sei das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien hier vergleichsweise vorbildlich. Als ganz aktuelles 29. Mitglied der NATO (seit 5. Juni) und EU-Beitrittskandidat sei Montenegro schon sehr weit und man habe dafür viel getan, so Mattern. „Es hapert aber noch an der Umsetzung der Gesetze, der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung. Da müssen noch dicke Bretter gebohrt werden, bevor auch das letzte Kapitel geschlossen werden kann. Vorher gibt es keinen EU-Beitritt, da müssen wir streng sein.“ Nur einmal kam Montenegro in den vergangenen Jahren die Weltschlagzeilen – als US-Präsident Donald Trump den Staatschef Filip Vujanovic beim Gruppenfoto der G20-Gipfelteilnehmer brüsk an die Seite gedrängt hat, um in die erste Reihe zu kommen. Doch darüber lächelt man in Montenegro inzwischen großzügig hinweg. Zurück in Dubrovnik wartet auf die Paderborner Mittelständler ein interessantes politisches Gespräch mit dem wortgewandten Spitzenkandidaten der führenden konservativen Partei Hrvatska Demokratska Zajednica (HDZ), Marko Potrebica, der jetzt auch zum Stadtpräsidenten gewählt wurde. Er berichtet von den Schwierigkeiten seiner Stadt, mit den Millionen Touristen klar zu kommen. Jetzt sollen täglich nur noch höchstens drei Kreuzfahrtschiffe in den Hafen einlaufen. Mehr Menschen fassen die engen Gassen und Plätze einfach nicht. Man versucht vielmehr, auch im Winter ein touristisches Programm zu schaffen und die Besucherströme zu entzerren. Auch müssten die Einnahmen aus dem Tourismus stärker für die Infrastruktur eingesetzt werden. Fazit des MIT-Kreisvorsitzendem Ulrich Lange und der Reiseorganisatoren Dr. Ewald Hügemann und CDU-Kreisgeschäftsführer Hanswalther Lüttgens nach vier ebenso beeindruckenden wie nachdenklichen Tagen: Hier, an dieser Schnittstelle muss Europa zwar weiterhin behutsam, aber auch entschlossen und nachdrücklich fördern und handeln, um die immer noch blutenden Wunden aus dem Jugoslawienkrieg zu schließen. Sonst bleibt der Balkan, was er über Jahrhunderte war – ein Pulverfass mit stets glimmender Lunte.
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