
Wie attraktiv ist eigentlich der Startup-Standort Deutschland?
Miele: Wenn man sich anschaut, dass wir in der Lage sind, das eine oder andere Unicorn (Startup, das eine Milliarde US-Dollar Umsatz erreicht, Anm.d. Red.) hier in Deutschland zu etablieren, kann man feststellen, dass die passenden Rahmenbedingungen durchaus vorhanden sind. Aber wenn wir uns anschauen, wie unsere Wettbewerber innerhalb, aber auch außerhalb Europas momentan in die Digitalisierung investieren, so muss man doch feststellen, dass wir langsamer vom Fleck kommen. Insofern ist der Standort nicht kaputt, aber wir müssen dringend etwas dafür machen, damit wir auch in Zukunft weiter mitspielen können.
Warum sind wir langsamer?
Miele: Ich glaube, das hat etwas mit der deutschen Mentalität zu tun, mit einer Abwehrhaltung, die wir gegenüber dem Unternehmer- und Gründertum entwickelt haben und dass wir einem erfolgreichen Unternehmen nicht trauen. Das hat dazu geführt, dass wir uns Handschellen anlegen und nicht schnell genug Entscheidungen treffen.
Ist das nur eine gesellschaftliche Frage oder auch eine Regulierungsfrage?
Dehina: Die Digitalisierung in Deutschland scheitert schon im Kleinen. Ein konkretes Beispiel: Wer in Dänemark einen Handelsregisterauszug abruft, benötigt zwei Klicks und hat den Auszug auf Englisch. In Deutschland muss man sich anmelden, Geld bezahlen und hat am Schluss eine Grafikdatei, die auf dem Kopf steht und die man nicht in ein Textformat konvertieren
kann. Der Stand der Digitalisierung der Behörden ist vor allem für Gründer ein großes Hindernis und könnte schnell geändert werden.
Gibt es zu wenig Gründer oder gibt es zu wenig Unterstützer für Gründer?
Miele: Beides. Es gibt sowohl zu wenig Gründer als auch zu wenig Unterstützer. Das heißt aber nicht, dass wir keine Firmen aufbauen können. Wir sind durchaus in der Lage, eigene Player aufzubauen, die auch auf europäischer und sogar auf der Weltbühne Rang und Namen haben, wie man an GetYourGuide, Auto1, Zalando und N26 sehen kann. Aber diese Möglichkeiten müssen noch einmal stärker in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerückt werden und auch in die Wahrnehmung der Menschen.
Jetzt kommt vom Startup-Verband der Vorwurf, es gebe genug Geld, aber es werde nicht in deutsche Startups gesteckt. Warum nicht?
Miele: Es ist genug Geld in der frühen Gründungsphase da. Aber es ist nicht genug Geld in derWachstumsphase da. Ab Investitionssummen von 25 Millionen Euro aufwärts ist man als Startup auf ausländische Investoren, meist aus China, den USA oder dem Mittleren Osten, angewiesen.
Aber warum? Es gibt doch das Geld bei Versicherungen und den großen Familienunternehmen?
Dehina: Versicherungen sind ein gutes Beispiel. Es gibt mehr Rentenkassen für Feuerwehrleute in den USA, die investieren, als beispielsweise alle Versorgungswerke in Deutschland zusammen. Es ist in Deutschland aufgrund von Regulierung sehr unattraktiv für solche Player, in Wagniskapital zu investieren.
Und wie können wir das ändern?
Dehina: Der erste Schritt dafür ist der Zukunftsfonds, ein Dachfonds-Modell, welches institutionelle Anleger für Wagniskapital mobilisieren soll (siehe Infokasten, Anm. d. Red.). Da ist noch nicht alles abschließend geklärt, aber er soll die zurückhaltenden, finanzstarken Player motivieren, in Wagniskapital, also in Unternehmensgründungen, zu investieren.
Das fordert auch die MIT. Aber es gab schon Kritik, warum man dafür staatlichen Beistand, sprich: Anteile, brauche?
Miele: Wir brauchen den staatlichen Beistand nicht, um den Markt mit mehr Geld zu fluten, sondern um die Wettbewerbsnachteile, die wir gegenüber den Amerikanern und anderen haben, abzubauen. Mit den Vorschriften der europäischen Solvency-II-Richtlinie muss eine Versicherung in Deutschland und Europa jeden Euro, der in Wagniskapital investiert wird, mit Eigenkapital unterlegen. Das macht ein solches Investment für eine Versicherung wesentlich unattraktiver als zum Beispiel in den Vereinigten Staaten. Insofern geht es mir weniger darum, dass wir unnötig viel staatliches Geld in den Markt pumpen, sondern vielmehr darum, dass wir die Investitionsbedingungen attraktiver machen, damit wi rmit anderen Standorten mithalten können. Wir müssen also Versicherungen und Pensionskassen den Weg in diese Form der Anlage ebnen.
Aber beim Zukunftsfond geht es doch darum, dass der Staat auch Geld mit anlegt.
Miele: Der Staat muss helfen. Es geht darum, dass der Staat am Ende einmal die Hürden für die Versicherungen und Pensionskassen abbaut und dann anderen privaten Investoren auch die
Möglichkeit gibt, zu investieren. Das Engagement des Staates muss aber marktwirtschaftlich sein. Es genügt nicht, den Markt mit Geld zu fluten und zu hoffen, dass es schon irgendwie gut geht.
Dehina: Ich habe auch ordnungspolitische Störgefühle bei so einem Fonds. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Es ist ok, wenn dieser Fonds dafür genutzt wird, einen Markt liquide zu machen, der gerade aus regulatorischen Gründen nicht liquide ist. Das ist aktuell bei Wagniskapitalfonds der Fall. Die möglichen Player können die Anlagen noch nicht richtig einschätzen. Insofern ist es für den Staat ordnungspolitisch zulässig, einen Markt zu schaffen oder anzustoßen.
Was halten Sie von der Idee des Wirtschaftsministeriums, dass der Staat über einen weiteren Fonds, einen Technologiefonds, direkt in Startups investiert?
Miele: Ich glaube nicht, dass der Staat besser investieren kann als private Investoren. Die Rolle des Staates sollte ordnungspolitisch darin bestehen, die Rahmenbedingungen zu setzen. Aber dass der Staat anfängt, sich Startups auszusuchen, in die er investiert, halte ich für keine gute Idee. Es besteht die Gefahr, dass der Staat dann nur in die Startups investiert, die aus guten Gründen keine privaten Investoren gefunden haben.
Dehina: Ich hoffe, die staatlichen Akteure haben aus dem Investment der WestLB in Boxclever gelernt…
Welche Regulierung ist denn noch hinderlich für den Startup-Standort?
Miele: Unser zweites Hauptthema ist die Mitarbeiterbeteiligung. Das hat mehrere Dimensionen: zunächst die Aufklärungsarbeit, was Mitarbeiterbeteiligung überhaupt ist, zweitens die bürokratischen Hürden und drittens die steuerlichen Hürden, die eine höhere Mitarbeiterbeteiligung an Unternehmen unattraktiv macht.
Was fordern Sie da konkret?
Dehina: Wir fordern, dass Mitarbeiter, die bei der Gründung eine Beteiligung eingeräumt bekommen, steuerlich nicht schlechter behandelt werden als Gründer, und dass sie nicht so behandelt werden, als hätten sie diese Beteiligung bereits verkauft. Häufig können Startups noch keine hohen Gehälter zahlen und geben stattdessen Anteile aus. Wenn die zu einem fiktiven Wert gleich am Anfang besteuert werden, ist das unattraktiv, da nicht sicher ist, ob der Wert jemals so realisiert werden kann. Wir wollen, dass die Steuer erst beim Verkauf anfällt, wenn auch klar ist, welchen Wert die Anteile wirklich haben.
Startups werden gelegentlich schlechtere Arbeitsbedingungen vorgeworfen. Die SPD Berlin wollte sogar den Zugang zu städtischen Fördertöpfen vom Vorhandensein eines Betriebsrates abhängig machen. Ist da was dran?
Miele: Ein Obstkorb für die Mitarbeiter bedeutet in der Tat nicht, dass es insgesamt gute Arbeitsbedingungen geben muss. Ich glaube, es gibt unter den Startups gute wie auch schlechte Arbeitsbedingungen, genauso wie es die in der klassischen Wirtschaft gibt. Da muss man sich nichts vormachen. Aber der Ruf nach einem verpflichtenden Betriebsrat bei Startups ist in meinen Augen absoluter Schwachsinn. Aber das ist ja auch schnell wieder zurückgezogen worden.
Derzeit geben sich viele Politiker Startup-affin. Wie würden Sie denn insgesamt die digitale Kompetenz der Parteien bewerten?
Miele: Es gibt in jeder Partei,mit der wir zusammenarbeiten, namentlich CDU, CSU, FDP, Grüne und SPD, Politiker, die wir schätzen und bei denen wir das Gefühl haben, dass sie verstehen, was wir tun und die mit uns auf einer Linie sind. Und dann gibt es dahinter einen sehr, sehr großen Teil von Politikern, die das Thema Digitalisierung und Startups als wichtig wahrgenommen haben, aber im Zweifel noch nicht wirklich verstanden haben, worum es geht. Ich glaube, da haben alle Parteien das gleiche Problem, nämlich innerhalb ihrer Partei die entsprechende Wahrnehmung aufzubauen, damit das Thema tatsächlich von zentraler Bedeutung ist.
Bräuchten wir in der Regierung einen Bundesdigitalminister mit eigenem Ressort?
Miele: Ein Digitalministerium wäre zumindest mal ein neuer Versuch. Momentan gibt es viele verteilte Kompetenzen, aber niemanden, der letztendlich wirklich entscheiden kann. Das ist problematisch. Wir wissen nicht, ob ein Digitalministerium hier Abhilfe schaffen kann, aber wir sagen: Lasst uns diesen Schritt nach vorne einmal ausprobieren.
Mit Blick auf Startups: Was ist ihr Tipp für das nächste große Ding?
Miele: Ich glaube, dass hier in Deutschland Personio in den nächsten zwei bis drei Jahren von sich reden machen
wird. Die bieten eine Personalsoftware für rund 100 Millionen kleine und mittlere Unternehmen weltweit an, was bislang SAP für die Konzerne macht. Bemerkenswert sind auch Choco, ein Kommunikationsdienst für Restaurants, Supermärkte und Lieferanten, und Tourlane, eine Buchungsplattform für Individualreisen. Viele Firmen sind der breiten Öffentlichkeit noch nicht bekannt. Sie erreichen aber gerade die entscheidenden Finanzierungsrunden. Da sagen wir: Gebt denen noch fünf Jahre und dann können die wirklich groß werden.
Dehina: Ich will keine konkreten Namen nennen, aber einen Bereich: Startups, die es schaffen, Verwaltungsabläufe so zu erleichtern, dass Personal gespart werden kann und Bürokratie wegfällt, um uns mit den begrenzt vorhandenen Fachkräften auf wichtigere Aufgaben konzentrieren zu können.
Miele: Wenn man Segmente nimmt, dann wird das sicherlich der Fintechund der Digital-Health-Bereich sein.
Unterscheiden sich Startup-Investoren, die oft auf schnellen Verkauf setzen, nicht fundamental vom deutschen Mittelstand, der nachhaltig und generationenübergreifend denkt?
Miele: Ich glaube, dass sowohl der Blick auf den lukrativen Verkauf und das nachhaltige Denken durchaus Hand in Hand gehen können. Ich glaube sogar, dass wir als Deutsche ein bisschen mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen als vielleicht unsere amerikanischen und chinesischen Kollegen. Es ist richtig, dass der Startup- und Wagniskapitalmarkt, der einen sehr
kleinen Anteil aller Neugründungen ausmacht, exitgetrieben ist, also auf den lukrativen Verkauf aus ist. Das muss aber nicht bedeuten, dass man da keine Firmen aufbaut, die nachhaltige Werte kreieren. Letztendlich sind 75 Prozent des gesamten amerikanischen Börsenwertes – von Google über Apple und FedEx bis Facebook – alles Unternehmen, die ursprünglich mit Wagniskapital finanziert wurden.
Was kann den ein klassischer Mittelständler von einem Startup lernen?
Miele: Die Risikoaffinität und die Mentalität gegenüber neuen Herausforderungen. Aber ein Startup kann auch sehr viel von Mittelständlern lernen: im Bereich Nachhaltigkeit, im Bereich soziale Verantwortung und im Bereich Verantwortung für Mitarbeiter. Ich glaube, das ist eine Chance für uns in Deutschland – und dafür stehe ich auch ganz persönlich mit meinem familiären
Hintergrund: Wir müssen versuchen, den Mittelstand und die Startup-Szene näher zusammenzubekommen. Wir müssen Vorbehalte abbauen, damit beide Seiten voneinander lernen.
Folgende Fragen bitte nur mit Ja oder Nein beantworten. Es gibt einen Joker. Wird in einem Jahr der Startup-Standort Deutschland besser sein als heute?
Miele: Ja.
Wird ein deutsches Startup bald in den Dax aufsteigen?
Dehina: Ja.
Herr Miele, Sie sind FDP-Mitglied: Können Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?
Miele: Nein.
Dehina: Ich bin ja schon Beisitzer im CDU-Ortsverband.
Wird Berlin die Startup-Hauptstadt Europas bleiben?
Miele (überlegt lange): Hier würde ich den Joker ziehen.
Dann machen wir zum Schluss die Satzvervollständigung. Wenn ich mit einen Politiker als Partner für eine Startup-Gründung aussuchen müsste...
Miele: ... würde ich Jens Spahn wählen.
Warum?
Miele: Er hat aus dem Gesundheitsministerium, was eine große Bürde war, viel gemacht. In meinen Augen hat er das gut gemacht und eine Gründermentalität an den Tag gelegt.
Was ich immer mal persönlich gründen wollte...
Dehina: ... ist ein Startup für eine Ärztesoftware, die den Verwaltungsaufwand für Ärzte reduziert, damit meine Frau früher von der Arbeit nach Hause kommt.
Christian Miele (32) ist Partner in der global agierenden Beteiligungsgesellschaft E-Ventures. Im Dezember wurde das FDP-Mitglied zum neuen Präsidenten des Bundesverbandes Deutsche Startups gewählt. Der Ostwestfale ist ein Urenkel des Miele-Gründers Carl Miele. Seit diesem Jahr ist er als Startup-Experte im Podcast von Gabor Steingart zu hören.
Dr. Elias Dehina (36) ist Jurist bei E-Ventures und geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Startup-Bundesverband. Dehina ist MIT-Mitglied in Berlin-Mitte und Beisitzer im CDU-Ortsvorstand.
Der Zukunftsfonds für Wagniskapital
Die MIT fordert einen Zukunftsfonds für Wagniskapital. Im Bundeswirtschaftsministerium gibt es bereits ähnliche Pläne. Zwar ist in Deutschland, vor allem bei Versicherungen, eigentlich genug Kapital vorhanden. Dieses wird aber kaum inWagniskapital investiert. Die Folge: Startups kommen in den entscheidenden Wachstumsphasen nicht an ausreichend Kapital oder ausländische
Investoren steigen ein. Die MIT präferiert das sogenannte Wasserfallmodell. Dabei hält der Staat 40 Prozent „Junior- Anleihen“ und die Privatwirt- schaft 60-Prozent „Senior-Anleihen“. Ziel ist, dass die Privatinvestoren eine garan tierte, aber begrenzte Rendite bekommen, im Gegenzug wird ihr Risiko minimiert. Sollten die Renditen des Dachfonds höher sein, profitiert der Staat. Es wird erwartet, dass die privatenInvestoren ihr Engagement verstärken, sodass der Staat seine Anteile immer weiter reduzieren kann.
Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin (Ausgabe 1-2020)
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