Das klingt einfacher als es ist. Gegensätzliche Positionen erzeugen naturgemäß Spannungen. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass Jamaika eine Chance sein kann. Und zwar dann, wenn die Koalitionäre sich unter dem Dach der Sozialen Marktwirtschaft versammeln. Kurzum: Jamaika könnte die Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft einleiten und damit das größte Manko der Großen Koalition ausgleichen. Dabei sehe ich vor allem die Union in der Pflicht. Vor vier Jahren sind wir dieser Pflicht nicht nachgekommen. Vielmehr haben wir in den damaligen Koalitionsverhandlungen die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft mehr und mehr aus den Augen verloren. Das Erbe Ludwig Erhards war in der Mottenkiste gelandet. Und genau da muss es wieder herausgeholt werden. Doch wie genau könnte das aussehen?
Beispiel Klima- und Energie: Die Ziele sind ehrgeizig und alle potentiellen Koalitionspartner haben sich zu ihnen bereits bekannt. Das heißt aber auch: Ein „weiter so“ reicht nicht. Wer die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft ernst nimmt, muss sich jetzt von alten Zöpfen trennen. Das planwirtschaftliche Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), mit dem der Anlagenbau gepäppelt und leider auch die Kostenschraube überdreht wurde, ist schnellstmöglich auszumustern. Im Gegenzug müssen marktwirtschaftliche Instrumente wie der Emissionshandel gestärkt werden, wozu nicht zuletzt dessen konsequente Ausweitung auf weitere Sektoren, wie zum Beispiel Wärme und Verkehr, gehört. Wer Strom sektorenübergreifend nutzbar und für Speichertechniken attraktiv machen will, muss über CO2-Preissignale gehen.
Beispiel Steuern und Finanzen: Die schwarze Null ist zweifelsfrei ein Erfolg der Großen Koalition. Und dieser sollte jetzt nicht zunichte gemacht werden. Auch wenn große Teile der wissenschaftlichen Zunft hartnäckiger denn je nach kreditfinanzierten Nachfrageprogrammen rufen. Jamaika muss hart bleiben. Mir ist jedenfalls kein Beispiel auf diesem Globus bekannt, wo Verschuldung zu Wachstum und Beschäftigung geführt hat. Das Gegenteil ist richtig.
Wer für die Soziale Marktwirtschaft eintritt, darf gleichzeitig die Menschen nicht vom Staat abhängig machen. Er muss ihnen Privateigentum ermöglichen, also finanzielle Spielräume geben, damit sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen können. Dies wird aber gerade für Familien und Normalverdiener immer schwieriger. Rund zwei Drittel der Sparkassenkunden in Deutschland haben mittlerweile am Monatsende nichts mehr vom laufenden Gehalt übrig, um Geld für das Alter zur Seite zu legen. Hier muss gegengesteuert werden. Beispielsweise durch Maßnahmen zur Abflachung des so genannten Mittelstandsbauchs, der gerade eben jene mit voller Wucht trifft, die mit ihrer Arbeit den Laden in Deutschland am Laufen halten. Die Politik hat ein irreversibles Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie hier nicht liefert. Mir ist jedenfalls kaum ein Thema bekannt, wo so viel Porzellan zerschlagen wurde wie bei den ankündigen, aber nie umgesetzten Steuerreformen.
Beispiel Rente: Die Soziale Marktwirtschaft kennt nicht zuletzt auch das Prinzip der Konstanz. Dabei geht es nicht allein um den Aspekt der Planbarkeit, sondern auch der Nachhaltigkeit. Beide sind von gesellschaftspolitischer Relevanz – nicht zuletzt um den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht zu gefährden. Wer beispielsweise ständig und willkürlich ins Rentensystem eingreift, um bestimmte Gruppen zu beglücken, setzt die Axt ans System. Ein System, das nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmend unter Druck gerät. Ziel aller Bemühungen kann und sollte daher seine Stabilisierung sein. Ich traue der Jamaika-Koalition zu, hier die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen. Sie könnte die Koalition werden, die das Alter neu denkt und durch die Weiterentwicklung der Flexi-Rente einen Mentalitätswandel in unserer Gesellschaft forciert. Doch bitte keine Schnellschüsse in den Koalitionsverhandlungen! Ziel sollte es sein, eine Expertenkommission einzusetzen, in der über alle Ideen gesprochen wird – und zwar ohne Denkverbote.
Der Beitrag erschien am 2. November 2017 in der WirtschaftsWoche.
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