n-tv.de: Carsten Linnemann fordert "Regeln für eine Staaten-Insolvenz"

Datum des Artikels 05.05.2015
Carsten Linnemann fordert die konsequente Fortsetzung des Reformkurses in Griechenland als Voraussetzung für Kredite. Im Gespräch mit n-tv.de sprach sich für eine Insolvenzordnung für Staaten aus. 

n-tv.de: Die Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU fordert ein Insolvenzverfahren für die Euro-Staaten. Was wäre gewonnen, wenn die EU Griechenland pleite gehen lassen würde?

Carsten Linnemann: Wenn es ein Insolvenzverfahren gäbe, stünden wir womöglich gar nicht vor dieser Frage, da ein solches Instrument auch disziplinierend wirkt. Schlimmstenfalls hätte man aber einen Fahrplan, der einen für alle Beteiligten geordneten und vorhersehbaren Ablauf ermöglicht.

Wie soll der aussehen?

Wir brauchen Regeln, wann und in welcher Höhe die Gläubigerbeteiligung greift, in welchen Fällen die Kapitalverkehrsfreiheit eingeschränkt und gegebenenfalls eine Parallelwährung oder neue Währung eingeführt wird. Ohne eine solche Ordnung werden wir in den nächsten Jahren immer wieder eine Situation wie jetzt mit Griechenland erleben. Deshalb fordern wir eine Staateninsolvenzordnung, an deren Ende der Austritt aus dem Euro oder die erfolgreiche Sanierung des Staatshaushaltes steht.

Besteht nicht die Gefahr, dass der Euro seinen Ruf als stabile Währung verliert, wenn Staaten nach Belieben austreten können?

Das Gegenteil ist richtig. Eine Staateninsolvenzordnung würde die Sogwirkung verhindern, die wir jetzt beobachten können. Frankreich hat am Mittwoch zum dritten Mal mehr Zeit bekommen, seine Neuverschuldung unter die erlaubten drei Prozent zu drücken. Erst 2017 muss Frankreich die Schulden-Obergrenze wieder einhalten. Wofür haben wir in den vergangenen Jahren Europa fitter gemacht? Warum wurden bei der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes quasi-automatische Sanktionen eingeführt? Nichts davon findet jetzt Anwendung! Wir reden immer nur über Griechenland, aber über die Zukunft der Währungsunion reden wir nicht.

Helmut Kohl betrieb die Währungsunion, um die europäische Integration unumkehrbar zu machen. Seit Beginn der Eurokrise merken wir aber, dass wir für eine funktionierende Gemeinschaftswährung deutlich mehr Integration brauchen.

Die Währungsunion muss atmen können. Es muss möglich sein, die Eurozone zu verlassen, aber Teil der Europäischen Union zu bleiben. Wenn ein Staat seinen Haushalt saniert hat, dann sollte er auch wieder zum Euro zurückkehren dürfen. Eine Währungsunion funktioniert nur mit Durchgriffsrechten, so wie wir das in Deutschland unter dem Begriff der Haushaltssicherung kennen. Das bräuchten wir eigentlich auch auf europäischer Ebene.

Können Sie sich vorstellen, dass Brüssel eines Tages Mitsprache bei der deutschen Finanz- und Wirtschaftspolitik bekommt?

Nein. Die politische Union mit einer Zentralregierung in Brüssel wird in der Praxis nie funktionieren, weil wir kulturell einfach zu verschieden sind. Trotzdem müssen wir klären, wie wir mit Staaten umgehen, die ihre Auflagen nicht erfüllen können oder wollen. Dass wir darauf keine Antwort geben können, ist der Kardinalfehler dieser Rettungspolitik.

Würden Sie sagen, dass die Einführung des Euro rückblickend ein Fehler war?

Nein, aber es fehlt die zweite Säule. Ich will‘s mal so sagen: Es hat noch nie eine Währungsunion gegeben, die ohne Durchgriffsrechte funktioniert hat. Warum soll das ausgerechnet bei der europäischen Währungsunion anders sein? Deshalb müssen wir die zweite Säule endlich etablieren und einen geordneten Austritt aus dem Euro im Zweifel ermöglichen.

Sie gehörten bereits 2012 zu den Unionsabgeordneten, die gegen das damals beschlossene zweite Hilfsprogramm für Griechenland gestimmt haben. Da werden Sie vermutlich auch heute mit Nein stimmen?

Ich habe das Programm insgesamt abgelehnt und ich werde heute wieder mit Nein stimmen, weil die Konstruktion der Währungsunion meiner Meinung nach so keine Zukunft hat.

Mit Carsten Linnemann sprach Hubertus Volmer