Globalisierung 2.0: Handlungsfähig bleiben - Chancen nutzen

Datum des Artikels 14.07.2022
Beschluss

Die deutsche Wirtschaft ist international vernetzt. Im Jahr 2021 wurden Waren im Wert von 1,2 Billionen Euro aus dem Ausland importiert, pro Tag über 3 Milliarden Euro. Im Gegenzug produzierten deutsche Unternehmen für den Weltmarkt. Waren im Wert von 1,4 Billionen Euro gingen 2020 an das Ausland. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab. Auch viele deutsche Mittelständler sind auf dem Weltmarkt erfolgreich.  333.000 kleine und mittlere Unternehmen (KMU) exportieren Waren oder Dienstleistungen, 213.000 in Länder außerhalb der EU. Nicht wenige dieser Unternehmen sind Weltmarktführer in ihren jeweiligen Nischenmärkten. Und auch über Investitionen sind wir mit dem Ausland verflochten. In anderen Ländern arbeiten fast 8 Millionen Arbeitnehmer für Unternehmen, die ganz oder teilweise in deutscher Hand sind. Ausländische Investoren haben in Deutschland mehr als 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.

Ohne die globale Einbindung würde unser Wohlstand erheblich geringer ausfallen. Bedingung für den Erfolg auf den Weltmärkten ist aber die Offenheit von Ländergrenzen für Handel und Investitionen. Deutschland und Europa müssen sich deshalb aktiv für Handels- und Investitionspartnerschaften einsetzen und einen regelgeleiteten Handel sicherstellen. Die Uhr tickt, denn der globale Systemwettbewerb zwischen autokratischen Staaten und liberalen Demokratien spitzt sich von Jahr zu Jahr zu. Sowohl die USA als auch das aufstrebende China verfolgen Strategien, die auf eine Blockbildung der Weltwirtschaft begünstigen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen stehen in der Gefahr, Spielball von Protektionismus und wirtschaftlichem Nationalismus zu werden. Gleichzeitig ist die Europäische Union weit davon entfernt, als schlagkräftiger Global Player auf der internationalen Bühne auftreten zu können. In den 2020er-Jahren werden die geoökonomischen Weichen für die Globalisierung 2.0 gestellt.

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion fordert:

• WTO als Hüterin des Freihandels stützen
Die Bundesregierung muss sich für eine Reform der WTO-Regeln und für die Einhaltung von WTO-Regeln einsetzen. Die WTO ist in ihrem System auf Grund von Meinungsverschiedenheiten ihrer Mitglieder derzeit nur eingeschränkt arbeitsfähig und kann mit der dynamischen Entwicklung des Welthandels nicht mithalten. Der Streitbeilegungsmechanismus der WTO muss jedoch funktionsfähig sein und die WTO muss z.B. gegen marktverzerrende Subventionen vorgehen können. Die WTO bleibt als Hüterin des Welthandels unverzichtbar. Nur eine funktionsfähige WTO kann einen regelgeleiteten Welthandel garantieren. Wird die WTO weiter geschwächt, drohen international Protektionismus und weitere Blockbildungen. Verlierer wäre die deutsche Wirtschaft, insbesondere der Mittelstand.

• Substantielle Handels- und Investitionsabkommen abschließen
Bundesregierung und Europäische Union müssen die Öffnung von Auslandsmärkten vorantreiben. Bewährtes Instrument ist neben der WTO der Abschluss von Handelsabkommen (FTAs). Vorrangiges Ziel solcher Abkommen muss die Öffnung von Auslandsmärkten sowie der Schutz von Auslandsinvestitionen sein. Außen-, umwelt-, klima- und sozialpolitische Ziele sowie der Schutz von Menschenrechten sind vorrangig über diplomatische Bemühungen und durch den Abschluss spezifischer Abkommen zu verfolgen, Unternehmen sind kein Instrument der Außenpolitik.
• Die Ratifizierung des EU-Kanada-Abkommens (CETA) durch die Bundesregierung war überfällig - die Zustimmung darf aber nicht von Nachverhandlungen oder Zusatzvereinbarungen abhängig gemacht werden. Streitbeilegungsmechanismen unterliegen dem Ratifizierungsprozess der Mitgliedsstaaten. Doch die nachträgliche Geltendmachung anderer nationaler Interessen verstößt gegen den Geist von Lissabon, verzögert die Unterzeichnung und schwächt die Verhandlungsposition der EU in laufenden und künftigen Verhandlungen. Der Abschluss von Handelsabkommen ist gemäß Lissabon-Vertrag europäische Angelegenheit und CETA wurde unter ordnungsgemäßer Beteiligung aller Mitgliedsstaaten verhandelt und unterzeichnet.
• Das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten muss zügig abgeschlossen werden. Der Handel mit Indien, den ASEAN-Staaten, mit Mexiko, Chile, aber auch Australien und Neuseeland muss weiterentwickelt werden.
• Die Bundesregierung muss Auslandsinvestitionen rechtlich absichern. Dafür muss sie sich für substantielle Investitionsförder- und –schutzabkommen (IFV) sowie Investitionskapitel in Handelsabkommen mit einem hohen Schutzniveau einsetzen. Neben dem Schutz vor direkter Enteignung und Diskriminierung müssen die Abkommen auch vor indirekter Enteignung und unfairer Behandlung schützen sowie einen freien Kapitalverkehr absichern. Gerade angesichts der gewaltigen Herausforderungen der Energiewende muss die Bundesregierung am Energiecharta-Vertrag (ECT), der grenzüberschreitende Investitionen im Energiesektor absichert, festhalten. Investitionen sind das Rückgrat auch des Mittelstandes, Auslandsinvestitionen (FDI) eine Triebkraft für Fortschritt und Wohlstand. IFV bieten Sicherheit für ausländische Investoren im Inland und bieten auch kleinen und mittleren Unternehmen eine Behandlung nach grundlegenden rechtsstaatlichen Grundsätzen im Ausland. Die EU muss eines neues „role model“ für Abkommen entwickeln, damit sie der Dynamik des internationalen Handels und der Globalisierung 2.0 gewachsen ist.
• Transatlantische Wirtschaftspartnerschaft stärken
Die Bundesregierung muss sich mit aller Kraft für eine Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen mit den USA einsetzen. Mit dem Handels- und Technologierat (Trade and Technology Council, TTC) haben die USA und die EU eine Dialogplattform für transatlantische Handelsfragen ins Leben gerufen, den die Bundesregierung kraftvoll unterstützen muss. Auch die deutsche Wirtschaft unterstützt mit der Transatlantic Business Initiative (TBI) die Bemühungen. Nach dem Scheitern von TTIP muss es das erklärte Ziel sein, zügig ein umfassendes und modern ausgestaltetes Handels- und Investitionsabkommen mit den USA abzuschließen. Der russische Überfall auf die Ukraine und der sich verschärfende Systemwettbewerb mit China haben noch deutlicher gemacht, wie wichtig die wirtschaftliche Bindung zum Wertepartner USA ist.
• Staat und Unternehmen im Umgang mit Autokratien stärken
Der russische Überfall auf die Ukraine und der Systemwettbewerb mit dem autoritären China zeigen, dass unsere Wirtschaftsbeziehungen mit Autokratien grundlegend überdacht werden müssen. Die Bundesregierung muss die Stellschrauben unserer marktwirtschaftlichen Ordnung im Einklang mit ordnungspolitischen Prinzipen anpassen an den Wettbewerb mit autokratischen Staaten. Sanktionsrecht, staatliche Investitionskontrollen und die Regeln für öffentliche Ausschreibungen müssen laufend modernisiert werden. Die Beteiligung deutscher Unternehmen an Menschenrechtsverletzungen und groben Umweltschädigungen ist nicht mit den christlichen Grundwerten unserer liberalen und rechtsstaatlichen Marktwirtschaft zu vereinbaren. Andererseits ist außenwirtschaftliche Aktivität in der globalisierten Volkswirtschaft Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg unserer Unternehmen und damit für Wohlstand und Sicherheit. Auch mittelständische Unternehmen stehen in der Verantwortung, einerseits die Chancen im Auslandsgeschäft auch mit nichtdemokratischen Staaten zu nutzen, aber gleichzeitig jederzeit so unabhängig zu bleiben, um kritische Auslandsmärkte jederzeit verlassen zu können. Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz geht allerdings am Ziel vorbei, es belastet auch mittelständische Unternehmen mit Haftungsrisiken, ohne die Unternehmen bei ihren Auslandsaktivitäten zu unterstützen. Eine Verschärfung der Sorgfaltsplichten im Rahmen der geplanten EU-Gesetzgebung lehnen wir ab.
• Europa zum geopolitischen Akteur machen
Handelspolitik muss auch in der Praxis ausschließliche Angelegenheit der EU sein. Blockaden gesamteuropäischer Abkommen durch einzelne Staaten und Regionen, wie etwa nachträgliche Forderungen in Zusammenhang mit CETA, dürfen nicht geduldet werden. Auf der globalen Bühne der Weltwirtschaft und der geoökonomischen Auseinandersetzungen können europäische Interessen nur dann zur Geltung kommen, wenn die Europäische Union geschlossen auftritt.

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