Forderungen zur aktuellen Entwicklung in der EU-Sozialpolitik

Datum des Artikels 29.08.2022
Beschluss

Der aktuelle Trend, wonach die EU immer häufiger parallel zur nationalen Sozialpolitik steht und diese aufgrund der Normenhierarchie verdrängt, statt sie zu ergänzen, muss gestoppt werden. Übertritt die EU diesen Rahmen, müssen auch die nationalen Parlamente konsequent von ihrem Recht der Subsidiaritätsrüge Gebrauch machen.

Die MIT fordert:

Mindestlohnregelung bleibt Kompetenz der einzelnen Staaten
Die EU-Mindestlohn-Richtlinie sieht u. a. vor, dass Mitgliedstaaten mit einer Tarifabdeckung unter 80 Prozent einen Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen zur Förderung der Tarifabdeckung erstellen sollen.  Darüber hinaus macht die Richtlinie nicht nur Vorgaben für Kriterien zur Festlegung der nationalen gesetzlichen Mindestlöhne, sondern enthält sogar mögliche Richtwerte für deren Höhe, was gegen den Kompetenzausschluss zum Arbeitsentgelt verstößt.
Noch für 2022 hat die Kommission angekündigt, eine „Initiative zu angemessenen Mindesteinkommen“ vorlegen zu wollen, um nach eigener Aussage Defizite bei der Angemessenheit und Abdeckung nationaler Grundsicherungssysteme anzugehen. Mit dem Vorhaben verstößt die Kommission gegen die Befugnis der Mitgliedstaaten, die Grundprinzipien der Mindestlöhne selbst festzulegen.

EU-weiter Arbeitnehmerbegriff schädlich
Auch die immer wiederkehrenden Versuche der Kommission, einen europaweit einheitlichen Arbeitnehmerbegriff zu etablieren (aktuell bei der Plattform-Richtlinie, zuvor bei der Richtlinie über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen) hätten bei Erfolg erhebliche Auswirkungen auf die nationalen Arbeitsrechts- und Sozialsysteme und sind abzulehnen.

Unnötige Bürokratie durch EU-Entgelttransparenz-Richtlinie stoppen
Das deutsche Entgelttransparenzgesetz gilt seit 2017. Die wohl deutlich schärfere EU-Entgelttransparenz-Richtlinie wird dazu führen, dass die deutsche Regelung in Kürze geändert werden muss – was zur Verfahrensumstellung und entsprechender unnötiger Bürokratie bei den betroffenen Unternehmen führen wird.

Doppelte Umstellung durch Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verhindern
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz kommt ab 2023 zur Anwendung – die EU-Lieferketten-Richtlinie muss voraussichtlich bis 2025 in nationales Recht umgesetzt werden. Dies hätte die Umstellung der unternehmensinternen Verfahren nach gerade mal drei Jahren Anwendung des deutschen Gesetzes zur Folge. Auch besteht die Gefahr von 27 unterschiedlichen Lieferketten-Gesetzen in den EU-Mitgliedstaaten.
Falls in Mitgliedstaaten schon eine vergleichbare Regelung besteht, sollte die EU-Richtlinie dort nicht zur Anwendung kommen.

Endlich Einheitliche Vorgaben für A1-Bescheinigungen schaffen
Bei der seit 2017 laufenden Revision der EU-Verordnung 883/2004 zur Koordinierung sozialer Sicherungssysteme setzt sich die Wirtschaft für eine europaweit einheitliche Handhabung der sogenannten A1-Bescheinigung ein: Dienstreisen und kurzzeitige Entsendungen sollten von der Beantragungspflicht in allen EU-Staaten befreit werden. Auch nach mehr als fünf Jahren ist hier keine Lösung in Sicht, was zu Schwierigkeiten für Unternehmen und grenzüberschreitend tätige Arbeitskräfte führt.

Entsende-Richtlinie praktikabel gestalten
Die revidierte Entsende-Richtlinie von 2018 verpflichtet bei Entsendungen zur Einhaltung des gesamten Arbeitsrechts und Entgelts im Zielland – eine schier unerfüllbare Vorgabe. Die 2019 geschaffene European Labour Authority (ELA) hat als eines ihrer Hauptziele die Bereitstellung von Informationen für Arbeitnehmer und -geber. Bis heute bietet die ELA keinen einheitlichen Überblick über die nach der Entsende-Richtlinie in den Mitgliedstaaten einzuhaltenden Vorgaben, obwohl die Bereitstellung von Informationen in der ELA-Verordnung festgeschrieben ist.

„One in, one out“-Prinzip verstärkt umsetzen
Kommissionspräsidentin von der Leyen hatte bei Amtsantritt die Einführung des „one in, one out“-Prinzips versprochen. Demnach sollten bei der Schaffung neuer Bürokratie durch EU-Regulierung an anderer Stelle im gleichen Politikbereich Entlastungen vorgenommen werden. Auch im dritten Jahr ihrer Amtszeit sehen wir zahlreiche Gesetzgebungsinitiativen mit großen Belastungen der Unternehmen ohne, dass im Gegenzug entsprechende Entlastungen erfolgt sind oder in Aussicht stünden.