"Energiewende ins Nichts"

Datum des Artikels 26.02.2020
MittelstandsMagazin

Das Bundeswirtschaftsministerium ist von seinen Plänen, einen bundesweiten Mindestabstand von 1000 Metern von Windrädern zu Siedlungsgebieten festzuschreiben, vorerst abgerückt. Nun sollen die Bundesländer selbst entscheiden, ob sie einen Mindestabstand vorschreiben. Die Windkraftbranche und die Opposition sahen die Energiewende durch einen festgeschriebenen Mindestabstand in Gefahr. Gleichzeitig formiert sich überall in Deutschland Widerstand von Bürgern gegen den Ausbau von Windrädern.

"Einen Tod muss man sterben. Aber dann bitte einen vernünftigen Tod“, findet Udo Bergfeld. Der 64-jährige kämpft gegen den Bau von Windrädern. Sein Engagement begann in seinem Heimatort Wald-Michelbach in Hessen, als dort der Bau von sechs Windkraftanlagen geplant war. Mittlerweile engagiert er sich in ganz Deutschland gegen den Bau von Windrädern. „Ich bin aber nicht pauschal gegen die Energiewende“, stellt Bergfeld klar. Würde Deutschland beispielsweise an der Atomenergie festhalten, würde er ein Endlager in der Nähe seines Wohnortes akzeptieren. „Das ist wie eine Mülldeponie – die will auch niemand vor der Haustür haben, trotzdem ist sie notwendig.“ Das wäre der Tod, den man sterben muss. „Ich denke aber nicht, dass die Energiewende so, wie sie momentan durchgeführt wird, funktionieren kann. Wenn ich nach 20 Jahren Subventionen durch die EEG-Umlage als Betrieb nicht in der Lage bin, ohne diese Subventionen zu überleben, dann läuft einfach etwas verkehrt.“

Subventionen in Milliardenhöhe

Damit trifft Bergfeld einen wunden Punkt deutscher Energiepolitik. Lange Zeit war der Bau von Windrädern eine Goldgrube. Ermöglicht wurde dies durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das erstmals 2000 in Kraft trat. Damit wurden Vergütungssätze für das Einspeisen von Strom durch erneuerbare Energien eingeführt. Diese lagen teils weit über den marktüblichen Preisen und lösten einen regelrecht Bauboom in der Windkraftbranche aus. Die Kehrseite waren stark steigende Strompreise zu Lasten der Bürger und vieler Mittelständler. Verstärkt wurde diese Preissteigerung durch umfassende Ausnahmeregelungen für sogenannte energieintensive Unternehmen. Diese können sich von der EEG-Umlage befreien lassen. Dadurch wurden die Kosten der EEG-Umlage aber auch auf weniger Schultern verteilt. Heute hat Deutschland nach Dänemark den zweithöchsten Strompreis der EU. Über die Hälfte des Preises entstehen durch Steuern und Abgaben. Das EEG-Gesetz wurde immer wieder novelliert. 2016 gab es auf Druck von CDU/CSU einen Systemwechsel weg von der pauschalen Einspeisevergütung hin zu einem Ausschreibungsverfahren. Damit kamen erstmals marktwirtschaftliche Elemente in das Gesetz, weil nur noch die günstigsten Anbieter den Zuschlag bekamen. Allerdings gibt es weiterhin die Festvergütung für viele Anlagen. Außerdem sind viele Anlagen auch weiterhin von vielen Risiken des Marktes befreit. Auch die Risiken und Kosten werden auf die Stromkunden und damit auf die Allgemeinheit umgelegt. Die goldenen Zeiten waren vorbei, die Windkraftbranche lief Sturm. In einem Pressestatement sagte Fritz Brickwedde, Präsident des Bundesverbands Erneuerbare Energien, damals: „In der Branche der erneuerbaren Energien stehen damit Zehntausende von Arbeitsplätzen, vor allem in der Wind- und Solarbranche, vor dem Aus.“ Die Regierung blockiere den Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Die Windkraftbranche ist in der Krise

Dieser Vorwurf wird der Union auch aktuell wieder gemacht. Hintergrund ist die von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier geplante Einführung eines Mindestabstands von Windkraftanlagen zu Wohnbebauung. Der Gesetzentwurf sah einen 1000-Meter-Abstand von Windrädern zu in Bebauungsplänen ausgewiesenen Siedlungsgebieten vor. Der Entwurf stieß auf viel Kritik, auch vom Koalitionspartner SPD, obwohl sich die Regierung im Klimapaket eigentlich auf dieses Vorgehen verständigt hatte. Diesem Druck scheint das Bundeswirtschaftsministerium nun nachgegeben zu haben. Ein Formulierungsvorschlag, öffentlich gemacht von Spiegel Online, zur Änderung des Baugesetzbuchs sieht nun keinen bundesweit geltenden Mindestabstand mehr vor. Die Bundesländer sollen selbst entscheiden, ob neue Windkraftanlagen einen Mindestabstand von 1000 Metern zur nächsten Siedlung einhalten müssen. 
Christian Haase, Bundesvorsitzen der der kommunalpolitischen Vereinigung von CDU/CSU kann die Kritik nicht nachvollziehen: „Dieser Vorwurf ist einfach absurd. Der Zubau an Windrädern ist im vergangenen Jahr stark eingebrochen – und das ganz ohne eine Schutzzone von 1.000 Metern zu Wohnbebauung.“ Tatsächlich sinkt die Zahl neuinstallierter Windkraftanlagen schon seit einigen Jahren. Das zeigen Zahlen des Bundesverbands Windenergie. 2017 wurden 1.792 neue Anlagen in Betrieb genommen, 2018 waren es nur noch 743. 2019 sank die Zahl dann auf 325, ein Rückgang von über 80 Prozent in zwei Jahren. Mit den abnehmenden Subventionen sank also auch die Zahl neuer Anlagen. Dabei ist es nicht so, dass es künftig keinerlei Umlagen oder Subventionen für Betreiber Erneuerbarer-Energien-Anlagen mehr gibt. Laut Schätzungen der Bundesnetzagentur haben die Betreiber von Erneuerbare-Energien-Anlagen 2020 einen Gesamtzahlungsanspruch von 33,6 Milliarden Euro. Außerdem rechnet die Bundesnetzagentur damit, dass die Betreiber an der Strombörse rund neun Milliarden Euro umsetzen. So bleiben noch 24,6 Milliarden an Förderkosten, die durch die EEG-Umlage gedeckt werden müssen. Auch in den Jahren zuvor lag die Höhe der Umlage in diesem Bereich. Es sind solche Summen, die Bergfeld erzürnen: „Woher kommt das Geld denn? Von den Umlagen der Bürger! Es werden Milliarden in den Sand gesetzt.“ Auch die Debatte um Mindestabstände ist aus seiner Sicht fehlgeleitet: „Die gesamte Energiepolitik ist falsch, deswegen brauchen wir auch nicht über Mindestabstände zu reden.“ Die Atomenergie wäre aus seiner Sicht eine geeignete Übergangslösung: „Ich war früher Atomkraftgegner, mittlerweile sehe ich das anders. Wir haben in Deutschland keine derart unsicheren Anlagen wie in Tschernobyl oder Fukushima. Jetzt bekommen wir aus alten Kraftwerken in Polen oder Frankreich Strom.“ Deutschland könne modernste Anlagen mit guten Filtern bauen. „Für die Windräder opfern wir unsere Wälder und Naherholungsgebiete. Dort leben unsere letzten noch vorhandenen Wildtiere und –vögel. Meine Forderung wäre, Windräder wie jede andere Industrieanlage zu behandeln. Die dürften dort nämlich auch nicht gebaut werden.“

Planungssicherheit für Kommunen

Dies dürfte den Bau von Windkraftanlagen allerdings vollends zum Erliegen bringen. Schon jetzt stocken Bauprojekte in ganz Deutschland, nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien. Es fehlt an Personal, und die komplizierten Genehmigungsverfahren ziehen sich über Jahre hin. Oft werden sie durch Klagen von Umweltverbänden und Bürgerprotesten erschwert. Genau hier sollte der Mindestabstand ansetzen: er sollte Planungs- und Rechtssicherheit schaffen. Vor allem Kommunen seien besonders betroffen, sagt Christian Haase. „Unser Ziel ist es, Kommunen Planungssicherheit beim Ausbau der Windenergie zu verschaffen.“ Der im Klimaschutzpaket der Bundesregierung vereinbarte Mindestabstand von 1000 Metern sollte ein wichtiger Baustein sein, um hier Klarheit zu schaffen. „Was helfen der Windindustrie großzügige Abstandsregelungen, wenn sie befürchten muss, dass jedes Bauvorhaben vor Gericht landet“, fragt Haase. Und auch den Vorwurf, bei 1000 Metern Abstand blieben nicht mehr genug Flächen für Windkraftanlagen, lässt Haase nicht stehen: „Ein Blick in den Gutachterbericht zur dena-Leitstudie Integrierte Energiewende zeigt, dass selbst bei einem Abstand von 1.400 Metern 2,8 Prozent der Fläche Deutschlands mit Windkraft bebaut werden kann.“ Das sei zum Erreichen der Klimaschutzziele ausreichend. „Jeder von uns weiß um den notwendigen Beitrag der Windenergie, um die Klimaziele zu erreichen“, stellt Haase klar. Die Aufgabe der Politik sei es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass wir die Akzeptanz in der Bevölkerung erhalten.

MIT-Chef 
Carsten Linnemann teilt diese Einschätzung: „Nicht Mindestabstände gefährden die Ziele der Energiewende, sondern die fehlende Akzeptanz der betroffenen Bevölkerung.“ Mindestabstände könnten helfen, Konflikte vor Ort zu befrieden. Für Christian Haase gibt es neben Mindestabständen noch eine Vielzahl anderer Maßnahmen, um Bauprojekte voran zu bringen: „Wir brauchen beispielsweise ein gesondertes Planungsrecht für Energieerzeugungsanlagen im Außenbereich“, so Haase. Dies werde leider vom Koalitionspartner blockiert. Um den Kommunen weiter unter die Arme zu greifen, soll zudem Paragraf 35 im Baugesetzbuch um einen Paragrafen 35a ergänzt werden. Darin werden Gemeinden unter anderem größere Befugnisse bei der Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bauleitplänen eingeräumt. „Momentan ist keine Verwaltung imstande, Flächennutzungspläne aufzustellen, ohne fürchten zu müssen, dass diese Pläne jederzeit wieder von einem Verwaltungsgericht kassiert werden“, erklärt Christian Haase. 

Bei aller Kritik an Windkraftanlagen und ihren Folgen für Natur und Mensch, sind sie doch ein wichtiger Bestandteil der Stromerzeugung hierzulande. 2019 erzeugten die knapp 30.000 in Deutschland installierten Windenergieanlagen rund 24 Prozent des Gesamtstroms. Damit lag sie erstmals vor der Braunkohle, die nur rund 20 Prozent des Stroms erzeugte. Doch der Strom wird vor allem im windreichen Norden des Landes produziert. Es fehlt sowohl an Speichermöglichkeiten als auch an Stromtrassen, die den Strom an windärmere Orte transportieren. Für Udo Bergfeld ist es eine „Energiewende ins Nichts“. Die Energiewende gehöre jetzt insgesamt auf den Prüfstand. Schon heute müsse Deutschland Gaskraftwerke wieder in Betrieb nehmen, ohne die die Stromversorgungan wind- oder sonnenarmen Tagen zusammenfalle. „Orte, die sich mit autarker Energieversorgung selbst loben, sollten mal eine Zeit lang vom Stromnetz genommen werden“, findet Bergfeld. Wenn das funktioniere, dann könne man gerne nochmal über Mindestabstände reden.

Dieser Artikel ist eine überarbeitete Version des Artikels im gedruckten Mittelstandsmagazin (1-2020). Zum Redaktionsschluss des gedruckten Heftes war noch nicht bekannt, dass das Bundeswirtschaftsministerium von den bundesweit geltenden Mindestabständen abrücken würde.