Einzelhandel in den Innenstädten sichern

Aktueller Status:

Umgesetzt:

Umgesetzt:

  • Punkt 4: Recht zur Impfung durch Betriebsärzte (siehe Beschluss des Corona-Gipfels vom 04.03.2021, Punkt 1, Absatz 6)
    • „Schon seit Beginn der Impfkampagne können auch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte […] einbezogen werden. In einem weiteren Schritt werden diese bzw. die Unternehmen im Laufe des zweiten Quartals verstärkt in die Impfkampagne eingebunden."

Teils umgesetzt:

  • Punkt 1: Wirksame Wirtschaftshilfen schnell und unbürokratisch auszahlen (siehe Beschluss des Corona-Gipfels vom 04.03.2021, Punkt 12)
Datum des Artikels 26.02.2021
Beschluss

Von dem seit dem 16. Dezember 2020 geltenden Lockdown sind 200.000 Einzelhandelsunternehmen mit 260.000 Standorten und einem Jahresumsatz von 200 Mrd. Euro sowie 1,6 Mio. Beschäftigte, darunter 600.000 Beschäftigte im Innenstadthandel, betroffen.

Eine HDE-Unternehmensbefragung (KW 1/2021) zeigt ein dramatisches Bild:

• Für 79 Prozent der von der Schließung betroffenen Geschäfte reichen die aktuellen Hilfsmaßnahmen nicht zur Existenzsicherung aus.
• Über 60 Prozent der Modehändler sehen Ihre unternehmerische Existenz derzeit in akuter Gefahr und werden ihr Geschäft ohne wirksame staatliche Wirtschaftshilfe in diesem Jahr aufgeben müssen.

Pro geschlossenem Verkaufstag verlieren die Einzelhändler Umsätze in Höhe von rund 700 Millionen Euro. Nach der aktuellen HDE-Umfrage sieht sich dementsprechend mehr als jeder zweite vom Lockdown betroffene Händler ohne weitere staatliche Hilfen in Existenzgefahr. Deshalb sind die konsequente Anpassung der Wirtschaftshilfen und eine Öffnungsperspektive für einen Ausstieg aus dem Lockdown zwingend erforderlich.

Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) setzt auf eine rasche Umsetzung folgender
Forderungen:

1. Wirksame Wirtschaftshilfen schnell und unbürokratisch auszahlen

Die MIT begrüßt die Ankündigung von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier auf dem Wirtschaftsgipfel am 16. Februar 2021, dass die staatlichen Überbrückungshilfen künftig auch Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro offenstehen sollen. Dadurch ist eine Gleichbehandlung aller Unternehmen in den Innenstädten gewährleistet und das Überleben vieler Magnet-Betriebe gesichert. Nach wie vor sind jedoch weitere Veränderungen bei den Corona-Hilfen erforderlich. Es muss eine Möglichkeit zur Auszahlung eines Unternehmerlohns im Rahmen der Überbrückungshilfe geschaffen werden. Ansonsten droht vielen Inhabern kleiner und mittelständischer Unternehmen der Absturz in die Armut. Darüber hinaus fordert die MIT weitere notwendige Anpassungen, wie z.B. die Synchronisation von Entschädigungs- und Schließungszeitraum. Und auch bei der Ungleichbehandlung mit der Gastronomie bei den Dezemberhilfen sieht die MIT noch immer Handlungsbedarf. Während hier Restaurants eine Umsatzentschädigung bekommen, werden die Händler für ihre geschlossenen Tage im Dezember bisher nur mit einem Fixkostenzuschuss entschädigt. Zudem muss eine weitere Überprüfung und Veränderung bei einem längeren Lockdown erfolgen.

2.  Sichere und faire Öffnungsperspektive für den Einzelhandel

Die MIT dringt auf eine sichere, faire und rechtskonforme Öffnungsperspektive für die derzeit geschlossenen Einzelhandelsunternehmen. Die Politik muss ihr Versprechen für einen einheitlichen Plan zum Ausstieg aus dem Lockdown einlösen. Die aktuellen Unklarheiten verunsichern die Unternehmen in dieser schwierigen Situation zusätzlich. Der Einzelhandel hat in den letzten Monaten bewiesen, dass er auch bei Inzidenzen von über 50 oder 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern mit seinen funktionierenden Hygienekonzepten sicherstellen kann, dass der Ort des Einkaufs nicht zum Hotspot wird. Insbesondere der durchgehend geöffnete Lebensmittelbereich zeigt, dass der Einzelhandel kein Pandemietreiber ist. Die politischen Entscheidungsträger müssen jetzt mit eindeutigen und nachvollziehbaren Aussagen für Transparenz sorgen. Derzeit erleben wir ein Durcheinander auf Länder- und Bundesebene. Es ist höchste Zeit für einen bundesweit gültigen Stufenplan zur Öffnung der Wirtschaft. Auch bei der Auslegung der geltenden Richtlinien ist ein einheitliches Vorgehen notwendig, um keine Ungleichgewichte entstehen zu lassen. Der Flickenteppich der vergangenen Monate muss beendet werden. Die Unternehmen müssen gleiche Bedingungen am Markt vorfinden. Dies gilt für die Öffnung, wie auch für die Schließung.

3. Perspektive und Zuversicht – Expertise des Mittelstands in die Öffnungsstrategie einbinden

Die MIT fordert eine transparente und klare Öffnungsstrategie. Diese darf nicht hinter verschlossenen Türen erarbeitet werden und muss die Expertise der mittelständischen Betriebe und ihrer Verbände entscheidend berücksichtigen. Sowohl die Erfahrung mit der Pandemie wie die gesellschaftlichen Debatten sollen dabei einbezogen werden. Denn gerade die derzeit geschlossenen Unternehmen wissen, welche konkreten Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens vor Ort geeignet und realistisch umsetzbar sind. Es müssen alle Bereiche des Mittelstandes einbezogen werden.

Die Risiken eines fehlgeschlagenen Hochfahrens sind beachtlich: Kleine und mittlere Unternehmen sind die zentrale Stütze der deutschen Volkswirtschaft. Und mehr noch: Sie haben eine wichtige Stabilisierungsfunktion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, auch und gerade in ländlichen Regionen. Hier geht es um eine besondere Struktur und Kultur.

Das situative politische Handeln muss durch eine mittel- bis langfristig tragfähige Strategie ersetzt werden, die sich an realistischen und fundierten Indikatoren orientiert. Verlässlichkeit und Praxistauglichkeit sind dabei entscheidend. Dazu gehört auch ein stärker evidenzbasierter Ansatz. Das „Fahren auf Sicht“ muss der Vergangenheit angehören. Kein Unternehmen kann mit dieser Strategie am Markt bestehen.

Insgesamt braucht der Mittelstand neben einer Perspektive zur Öffnung dringend politische Signale der Zuversicht, damit möglichst viele Unternehmen durch die Krise kommen und durchhalten. Ein Wiederhochfahren ist nicht per Knopfdruck möglich, sondern muss sorgfältig vorbereitet werden. Die Unternehmen sind sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst, aber sie brauchen klare und deutlich formulierte Perspektiven, um ihr wirtschaftliches Handeln danach auszurichten. Inhabergeführte, Mittelständische Unternehmen denken nicht in Monaten, sondern in Generationen. Sie brauchen Perspektive und Planungssicherheit.

4. Recht zur Impfung durch Betriebsärzte

Die MIT fordert eine Anpassung des rechtlichen Rahmens, um Impfungen durch Betriebsärzte zu ermöglichen. Neben der ausreichenden Verfügbarkeit des Impfstoffs wird es zur Eindämmung der Corona-Pandemie ganz entscheidend darauf ankommen, auch die Akzeptanz für das Impfen in der Bevölkerung zu stärken.

Der Einzelhandel ist ein wichtiger Multiplikator in Richtung sowohl seiner Kundinnen und Kunden als auch seiner Beschäftigten und er kann seinen Beitrag dazu leisten, zu einer möglichst breiten Impfbereitschaft in der Bevölkerung, etwa durch die Beteiligung an Informations- und Aufklärungskampagnen, beizutragen. Viele größere Handelsunternehmen wären sicherlich bereit, ergänzend zu dem bestehenden staatlichen Angebot, Corona-Impfungen von Beschäftigten – auf rein freiwilliger Basis – mittels der vorhandenen Betriebsarztstrukturen eigenständig zu organisieren und auch durchzuführen. Hierzu bedarf es jedoch noch einer Anpassung des rechtlichen Rahmens, da weder Hausärzte noch Betriebsärzte aktuell das Recht haben, diese Impfungen eigenständig vorzunehmen. Das ist nicht nachvollziehbar und sollte korrigiert werden. Sobald ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, wird es zur Bewältigung der Krise natürlich auch ganz entscheidend darauf ankommen, die Impfgeschwindigkeit zu optimieren.

5. Handel bei Digitalisierung unterstützen

Die MIT fordert, dass stationäre Händler bei der Digitalisierung ihrer Geschäftsmodelle unterstützt werden. Der Einzelhandel als Kernbranche vitaler Innenstädte steht in Folge der Corona-Krise insbesondere im Bekleidungsbereich in vielen Fällen vor der Insolvenz. Am Ende der Krise könnten bis zu 50.000 Geschäfte vom Markt verschwunden sein. Das hat Auswirkungen auf ganze Innenstädte.

Der mittelständische Einzelhandel braucht daher die Unterstützung bei der Digitalisierung. Die aktuelle Krise führt dazu, dass das Eigenkapital der Handelsunternehmen aufgebraucht ist. Und doch müssen gerade die mittelständischen Händler sich für die Zukunft rüsten. Damit der Mittelstand in unseren Innenstädten in dieser Krise nicht unverschuldet den Anschluss verliert, braucht es ein staatliches Förderprogramm. Ansonsten drohen verödete Stadtzentren.

Die MIT fordert dazu einen Digitalisierungsfonds. In einem ersten Schritt sollten dabei z.B. die schon bestehenden Mittelstand 4.0-Kompetenz­Zentren wie z.B. Handel und eStandards genutzt werden, um die Händler über die Möglichkeiten der Digitalisierung aufzuklären. Schon heute leisten diese Kompetenzzentren unter dem Dach des Bundeswirtschaftsministeriums mit Veranstaltungen, Webinaren und einem Digital-Mobil einen großen Beitrag. In einem zweiten Schritt sollten dann bei interessierten Unternehmen geeignete Maßnahmen identifiziert werden. Dabei können sogenannte Digitalcoaches – wie sie in NRW bereits in die Praxis umgesetzt wurden – helfen. Die Unternehmen, die eine oder mehrere der von den Coaches empfohlenen Maßnahmen umsetzen möchten, sollten dafür entsprechende finanzielle Förderungen bekommen. Auch hier gibt es in NRW bereits ein Projekt mit Vorbildwirkung. Das Beispiel NRW zeigt, dass frühzeitig initiierte Digitalisierungsinitiativen gerade jetzt ihre volle Wirkung zeigen und passgenau die Unternehmen unterstützen. Der Ruf nach Digitalisierung ist allerorten laut zu vernehmen, bei der Umsetzung befinden wir uns oft noch in den Kinderschuhen. Die aktuelle Krise führt auch auf diesem Gebiet zu einer nie da gewesenen Dynamik die wir jetzt nutzen müssen.
   
6. Innenstadt und Handel gesamtheitlich weiterentwickeln

Angesichts drohender Insolvenzen im innerstädtischen Handel durch die Corona- Pandemie fordert die MIT, dass Kommunen und Handel unterstützt werden, um einer Verödung des Standortes Innenstadt entgegenzuwirken. Ein Innenstadtfonds mit Mitteln von zunächst  500 Millionen Euro könnten den Beteiligten helfen, die Situation zu analysieren und geeignete Maßnahmen zu entwickeln. Dazu gehörten moderne Einzelhandelskonzepte, gesamtheitliches Leerstandsmanagement und eine aktivere Ansiedlungspolitik.

Wir brauchen ein koordiniertes Vorgehen aller Beteiligten, um geeignete Einzelhandelskonzepte zu entwickeln, die den geänderten Anforderungen der Besucher gerecht wird. Es gilt ganzheitlich darüber nachzudenken, wie die Herzen der Städte attraktiv und lebendig gestaltet werden können. Der Handel wird dabei auch in Zukunft oft die dominante Funktion übernehmen. Die Kommunen müssen aber viel breiter denken. Beispielsweise kann eine Spezialisierung erfolgen und zu einem neuen Profil beitragen. Hier sind Planungshilfen für Kommunen gefragt.

Weiterhin muss eine systematische Analyse der Leerstände erfolgen, um Handlungsbedarf zu erkennen und anzugehen. Derzeit gibt es keine systematische, bundesweit einheitliche Erfassung der Leerstände. Wir brauchen daher ein standardisiertes digitales Leerstandskataster.

Schließlich ist die Einrichtung von speziellen Austauschformaten zwischen Handel, Kommunen und Immobilieneigentümern erforderlich. Eine gesunde Innenstadt braucht einen gesunden Branchenmix. Hier muss aktiver gemanagt werden. Ansonsten ist die Zukunft der Stadtzentren in Gefahr. In begründeten Einzelfällen sollten die bestehenden Möglichkeiten des Vorkaufsrechts in den förmlich festgelegten Sanierungsgebieten ausgeübt werden können, um den Branchenmix abzurunden.

Aufgrund der zu erwartenden Schließungen im Einzelhandel und den dadurch freiwerdenden Immobilienkapazitäten müssen die Städte bereits jetzt aktiv an ihrer Umgestaltung, an ihrem Umbau arbeiten. Darauf zu warten, dass die prognostizierten Effekte eintreffen und erst dann zu reagieren, würde weitere negative Effekte provozieren. Stadtentwicklung und Stadtplanung zur Bewältigung der Nach-Corona-Zeit müssen jetzt angegangen werden.

7. Anhebung der Einkommensgrenze für Minijobs überfällig

Die MIT dringt auf eine rasche Anhebung der Hinzuverdienstgrenze für Minijobs auf 600 Euro. Wie die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt, hat der erste Lockdown im Frühjahr 2020 den seit Jahren rückläufigen Trend bei den Minijobbern im Einzelhandel beschleunigt. Demnach ist die Zahl der Minijobber im Vorjahresvergleich zum Stichtag 30.06.2020 um 22.000 zurückgegangen und liegt nun bei 790.000.

Die Zahlen machen deutlich, dass die Anhebung der starren Einkommensgrenze für Minijobs auf 600 Euro pro Monat mehr als überfällig ist. Die Entgelterhöhungen der vergangenen Jahre haben dazu geführt, dass Minijobber immer weniger Stunden arbeiten könnten. Damit reduziert sich die Attraktivität der Minijobs nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für Arbeitnehmer. Sie verfügten wegen der jährlich steigenden Verbraucherpreise über immer weniger Kaufkraft.

Dabei sind Minijobs beliebt und werden von Arbeitnehmern meist gezielt angefragt, etwa von Studenten und Rentnern. Dieses Erfolgsmodell darf in Deutschland nicht durch eine schleichende Entwertung gefährdet werden. Das gilt umso mehr in der aktuellen Krisensituation. Zuletzt wurde die Einkommensgrenze bei den Minijobs im Jahr 2013 von 400 € auf 450 € angehoben.

Trotz Corona war die Beschäftigungssituation in der Branche laut Bundesagentur für Arbeit im Frühjahr stabil. Zurückzuführen ist dies auch auf den großflächigen Einsatz von Kurzarbeit. Besonders bemerkenswert ist, dass die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Einzelhandel im Vorjahresvergleich (Stichtag: 30.06.2020) um 0,5 Prozent gestiegen ist. Insgesamt bleibt der Handel mit rund drei Millionen Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Deutschland.