Deutschland braucht eine neue Energiepolitik [MIT-Präsidium]

Aktueller Status:

Der Beschluss wurde von Frau

Der Beschluss wurde von Frau Connemann in der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion eingebracht und an den Fachreferenten im Konrad-Adenauer-Haus geschickt.

Datum des Artikels 09.03.2022
Beschluss

Der russische Überfall auf die Ukraine stellt auch die Energiepolitik vor neue, dringende Herausforderungen.

1. Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion fordert die Bundesregierung dazu auf, den 2011 beschlossenen Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie schonungslos, ergebnisoffen und ehrlich neu zu bewerten. Dies ist im Angesicht der globalen Klimakrise und des katastrophalen Krieges in Europa erforderlich. Die bisherige Einschätzung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, die beide eine Verlängerung der Laufzeiten ablehnen, halten wir für politisch motiviert und für nicht sachlich fundiert.
Zu dieser Neubewertung gehört auch die Prüfung neuer Wege der nuklearen Entsorgung, z.B. des Weges der energetischen Verwertung „abgebrannter“ Brennelemente in Dual-Fluid-Reaktoren zur erheblichen Reduzierung nuklearer Abfälle und zur grundlastfähigen, kosten- und klimagünstigen Stromerzeugung.

2. Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion fordert die Bundesregierung dazu auf, den 2019 beschlossenen Zeitplan des deutschen Kohleausstiegs den dramatisch höheren aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen anzupassen.
Begründung zu

Begründung:

• Zu 1.

Der Deutsche Bundestag hat im Juni 2011 mit der Zustimmung aller Fraktionen – wenn auch ohne Abstimmung mit unseren europäischen Partnern – den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie zum Jahresende 2022 beschlossen. Klimapolitische Bedenken gegen diesen Ausstieg spielten damals noch keine Rolle. Eine breite Mehrheit der Deutschen, auch der deutschen Unternehmen, war für diesen Ausstieg.

In auffälligem Gegensatz dazu stehen die öffentliche Meinung und die Regierungen in einer großen Zahl der EU-Mitgliedstaaten. Sie fordern zur Bekämpfung der globalen Klimakrise nicht ein Ende, sondern einen Ausbau und eine Förderung der Kernenergie als „grüne Energie“. In den Verhandlungen über die EU-Taxonomie und die Ausgestaltung des EU-Planes „Fit for 55“ zeichnet sich eine tiefe Meinungsverschiedenheit zwischen Deutschland und den Befürwortern der Kernenergie ab, die gerade auch auf die gewachsene Bedeutung des Klimaschutzes verweisen.

Die Argumente, die 2011 zu dem eiligen Ausstiegsbeschluss geführt haben, gelten nach wie vor. In dem Jahrzehnt seitdem sind aber zusätzliche Argumente dazugekommen: zum einen die erheblich höheren Anforderungen, die die globale Klimakrise an die Energiepolitik insbesondere der Industriestaaten stellt, und zum anderen technologischer Fortschritt, der es ermöglicht, sowohl klima- als auch energie- als auch entsorgungspolitische Vorteile miteinander zu kombinieren. Dazu sei auf das innovative, am Institut für Festkörper-Kernphysik in Berlin entwickelte Konzept der Dual-Fluid-Reaktoren verwiesen, die genau das tun, indem sie „abgebrannte“ Brennelemente energetisch verwerten. Sie bieten damit nicht nur der nuklearen Entsorgung in Deutschland erhebliche Verbesserungschancen, sondern der nuklearen Entsorgung weltweit. Das beste Endlager ist: kein Endlager.

Im Februar 2022 ist schließlich durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine ein sehr starkes, bisher nicht ausschlaggebendes Argument hinzugekommen: die außen- und sicherheitspolitisch bedenklich hohe und wachsende Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energieimporten aus Russland. Sie zwingt Deutschland nicht nur zu einem noch höheren Tempo beim Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien – sondern auch zu einer Neubewertung des Ausstiegs aus der CO2-freien friedlichen Nutzung der Kernenergie.

Wer es mit einer entschlossenen Bekämpfung der globalen Klimakrise ernstmeint und der außen- und sicherheitspolitischen Verwundbarkeit Deutschlands entschlossen entgegentreten will, wird diese Neubewertung jetzt leisten. Wir sind es unseren Nachkommen schuldig, uns Rechenschaft darüber abzulegen, aus welchen Gründen wir – womöglich weiterhin – klimaschonende und grundlastfähige Stromerzeugung nicht und unter welchen Auflagen wir sie dann, wenn die Sicherheitslage sich verschlechtert und die Klimakrise fortschreitet, doch wollen.

• Zu 2.

Das von Bundestag und Bundesrat nach dem Bericht der sog. Kohle-Kommission 2019 beschlossene Kohleausstiegsgesetz war – vor Pandemie und Krieg – ein eindrucksvolles Beispiel für die in Deutschland verbreitete Fähigkeit, über die Grenzen wirtschaftspolitischer und länderspezifischer Interessen hinweg zu einem großen, von so gut wie allen gesellschaftlichen Kräften mitgetragenen Kompromiss zu kommen. Arbeitsplätze, Klimaschutz, Wettbewerbsfähigkeit und Importabhängigkeit wurden unter Beachtung des sog. Energiepolitischen Zieledreiecks gegeneinander abgewogen und zu einem Ausgleich gebracht.

Der Angriffskrieg gegen die Ukraine bringt diese getroffene Abwägung in eine gefährliche Schieflage. Die Sicherheit der Versorgung mit Wärme und Strom stellt sich nach dem Kriegsbeginn leider anders dar als noch 2019.

In der aktuellen außen- und sicherheitspolitisch angespannten Lage ist nun ein neuer Abwägungsprozess zu leisten. Der Zeitplan des deutschen Kohleausstiegs muss sich stärker an dem Zeitpunkt orientieren, zu dem sichere CO2-freie Stromerzeugung nicht nur geplant ist, sondern zur Verfügung steht.

Energiepolitische Entscheidungen müssen sich stärker an einer anzustrebenden Versorgungssicherheit orientieren, die nur mit mehr deutscher und europäischer Selbstversorgung und viel diversifizierteren Energieimporten gelingen wird.