Eigentlich geht es ums Ganze. Um die Zukunft des Automobils. Wer macht hier das Rennen? Die Amerikaner, die Asiaten oder wir? Unsere Autoindustrie jedenfalls droht zurückzufallen: Erst die Boni für Fehlleistungen von Managern, dann die unrühmliche Episode um die Elektro-Prämie, die Manipulationsvorwürfe bei den Abgaswerten und nun auch noch mögliche unerlaubte Absprachen. Dabei könnten deutsche Autokonzerne mit ihren langjährigen Erfahrungen und ihrem Schatz an bestens ausgebildeten Ingenieuren ganz weit vorne mitspielen, wenn es darum geht, den Verbrennungsmotor den neuen Anforderungen anzupassen und zu einer Brückentechnik weiterzuentwickeln. Doch stattdessen wird dieses Potenzial missbraucht, und zwar für den Betrug. Kein Wunder, dass sich bei vielen Bürgern zusehends der Eindruck verfestigt, dass in der großen Wirtschaft der finanziell Überlegene immer gewinnt und Moral neben Profitinteressen keinen Platz mehr findet.
Kein Mittelständler, kein Familienunternehmen in Deutschland könnte es sich erlauben, mit Manipulation staatliche Regeln auf diese Weise zu brechen und staatliche Kontrollorgane zu beeinflussen. Hier haben einige Konzernmanager offensichtlich ihre Bodenhaftung verloren. An diesem grundsätzlichen Problem ändern auch die nun zugesagten Software-Updates nichts. Im Gegenteil: Das Ergebnis des „Autogipfels“ erweckt bei vielen eher den Eindruck, dass die Großkonzerne „billig davonkommen“.
Allerdings: Beim Diesel-Skandal haben nicht nur die Konzerne, sondern auch die Politik versagt: So hat es der Staat versäumt, die Einhaltung der Grenzwerte vollumfänglich und praxistauglich zu kontrollieren. Entweder hat man bewusst eine rechtliche Grauzone zu Gunsten der Automobilindustrie gelassen oder man war ahnungslos. Beide Versionen sind beschämend.
Auffällig ist, dass im Zentrum der Skandale immer wieder VW steht. Die Vorwürfe vom Wochenende, dass sich der niedersächsische Ministerpräsident Redenschreibern des VW-Vorstandes bediente, setzen dem Ganzen die Krone auf. Wir reden schließlich bei VW über einen Konzern, bei dem das Land Niedersachsen Großaktionär ist. Hier bewahrheitet sich einmal mehr, dass die enge Verstrickung von Staat und Wirtschaft zu Interessenkonflikten führen kann – ganzgleich welche Partei am Ruder ist. Der Staat kann nicht gleichzeitig Regelsetzer, Schiedsrichter und Mitspieler sein.
So lange Politiker in Niedersachsen aber davon überzeugt sind, dass das Land Anteilseigner bei VW bleiben muss, wäre es zumindest geboten, dass die Vertreter der niedersächsischen Landesregierung ihre Sitze im Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung zur Verfügung stellen, damit zwei externe Experten berufen werden können. Das müsste freilich auch für die im Herbst zu wählende Nachfolgeregierung gelten. Nur so kann die Politik ihrer eigentlichen Aufgabe wieder nachkommen: Den Dieselskandal in Gänze durchleuchten und aufklären.
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