Amtsgerichtsdirektor Albert G. Paulisch zu Gast bei der MIT-Harburg-Land

Datum des Artikels 20.04.2017
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"Wird die Arbeitsfähigkeit der Justiz durch den Gesetzgeber genügend unterstützt?" war das Thema des MIT-Unternehmerabends „Landgenuss“. Dafür wurde der Direktor des Winser Amtsgerichts Albert G. Paulisch gewonnen, der mit seinen 35 Jahren Berufserfahrung aus der Praxis berichtete. Neben dem Referenten begrüßte der Vorsitzende Wilfried Uhlmann den Bundestagsabgeordneten Michael Grosse-Brömer und den Landtagsabgeordneten Heiner Schönecke im Landgasthof Zur Eiche in Ollsen.

In seinem „Fünf-Minuten-Exkurs“ widmete sich Uhlmann dem Verhalten einiger Teile der Bevölkerung gegenüber Autoritäten. Er sah bereits Gründe in der Kinderziehung: „Gute Erziehung ist die richtige Mischung aus Liebe und Disziplin.“ Kinder müssten soviel Freiheit haben wie möglich und auch die Möglichkeiten Fehler zu machen. Aber auch lernen, eigene Fehler selbst zu erkennen. Uhlmann erkannte auch einen anderen Zusammenhang: „Je größer der Wohlstand, desto größer der Egoismus!“ Damit leitete er auf den Vortrag von Amtsgerichtsdirektor Albert G. Paulisch über, der die Frage beleuchte: „Wird die Arbeitsfähigkeit der Justiz durch den Gesetzgeber genügend unterstützt?“ Dabei warf der erfahrene Richter unter anderem die Fragen auf: „Ist die Justiz gut ausgestattet?“ oder „Haben wir genug Richter?“ Symbolisch legte er nun seine Robe an und stellte die Situation der Justiz dar. Die Verfahrensinhalte werden durch Auslandsberührungen, Regelungsdichte und einsetzbare Verfahrensrechte der Verteidigung immer komplexer. Die Konsequenz: „Strafprozesse am Landgericht dauern 30 Prozent länger als vor zehn Jahren.“ Ein weiteres Zeichen von Überlastung sei, dass durch die Staatsanwaltschaft immer mehr Verfahren mit und ohne Auflagen eingestellt werden. Waren es im Jahr 2005 nur 25 Prozent, seien es 2015 bereits ein Drittel gewesen. Aus seiner Erfahrung berichtete er, dass die zur Verfügung stehende Arbeitskraft am Amtsgericht in Winsen in den vergangenen zehn Jahren zwar zugenommen habe, „das sagt aber noch nichts über die Ausstattung aus.“ Zivilklagen würden seit Jahren zwar abnehmen, Familiengerichtsangelegenheiten hätten dagegen um 40 Prozent in den vergangenen 10 Jahren zugenommen. Die Zahl der Strafsachen sei annähernd gleich geblieben, die Sachverhalte würden aber schwieriger. Auch würden Delikte, die früher beim Landgericht verhandelt wurden, zunehmend bei den Amtsgerichten angeklagt. Es herrsche sehr hoher Arbeitsdruck und Entscheidungsfreude sei gefragt. Bei der Ausstattung der Justiz und der Suche nach neuen Richtern, macht sich der Richter keine Illusionen. Er rechnete vor, dass ein Hafenarbeiter mit Personalentscheidungskompetenz mehr verdienen würde als ein 40-jähriger Richter. „Die absoluten Top-Leute landen damit nicht bei uns“, weil die Konkurrenz in der freien Wirtschaft bessere Konditionen bieten würde, zum Beispiel die großen Anwaltskanzleien. Symbolisch legte der Amtsgerichtsdirektor jetzt seine Robe ab und übte aus seiner Erfahrung Kritik. Z.B die Frage: Ist alles, was Richter heute machen müssen auch nötig? So skizzierte er zum Beispiel den Ablauf bei einer mutmaßlichen Trunkenheitsfahrt, von der Fahrt zur Wache, über die Einschaltung eines Staatsanwaltes bis zum Richter, der die Blutentnahme anordnen muss. Der würde aus dem Bett geholt und müsse entscheiden. „Was solle der Richter hier morgens um fünf Uhr prüfen?“ Weiter fragte er, ob im Familienrecht einvernehmliche Scheidungen oder ein Versorgungsausgleich wirklich durch einen Richter vorgenommen werden müssten. Oder warum es im Zivil- und Familienrecht keine Möglichkeiten der Videokonferenz gebe, anstatt Gerichtssaal-Verhandlungen mit zum Teil langen Anreisen, für wenige Minuten. Er warf unter anderem auch die Frage auf, ob die Richter im „Armenrecht“ die Vermögensverhältnisse des Antragsstellers selbst ermitteln und entscheiden müssten. Auch würde er sich Grenzen bei Schriftsätzen und mündlichen Vorträgen wünschen, wie es im Europäischen Gerichtshof gehandhabt wird. „Kostenerinnerungen gegen Rechtspfleger müssen ab 0,01 Euro zum Richter“, stellte er weiter kopfschüttelnd fest und stellte weiter die Frage: „Warum keine Missbrauchsgebühr gegen Beteiligte?“, wenn die Motivation für eine Klage offenbare Rechthaberei ist. Aber auch im Strafrecht zählte er diverse Beispiele auf. So könnte sich der Amtsgerichtsdirektor eine Richterassistenz vorstellen, auf die einige Aufgaben übertragen werden könnten. Im Strafrecht würden die Verfahren immer komplizierter. Er begrüßte zwar Strafmaßerhöhung bei Wohnungseinbrüchen auf ein Jahr oder die schärfere Bestrafung bei Körperverletzungen beispielsweise gegen Rettungsdienste. „Noch schöner würde ich es finden, wenn die Polizei mehr Übeltäter den Gerichten zuführen würde, egal ob es dann sieben Monate oder ein Jahr auf Bewährung als Strafmaß gibt. Herr Paulisch wies aus seiner Sicht auch auf Optimierungsmöglichkeiten in der Struktur hin. So leiste man sich ein Landgericht Bückeburg mit nur sieben Richtern oder ein Oberlandesgericht Braunschweig. Die Richterschaft habe zur Zeit allerdings keine Zeit für einen gravierenden Strukturwandel. Da es für jede Prozessart einen bestimmten zugerechneten Minutensatz gibt, gibt es unter den Robenträgern auch Befürchtungen, dass ihnen die schneller abzuarbeitenden Fälle – mit denen Zeit gut gemacht werden kann - weggenommen werden und die schweren Fälle zu den bisherigen Bedingungen bleiben, denn jedem Fall ist ein bestimmter „Minutensatz“ zugewiesen. Deshalb ist sein Ansatz, dass einfache Sachen nicht durch den Richter bearbeitet werden müssten, keineswegs die Mehrheitsmeinung in der Justiz.

Zum Abschluss gab es einen Gaumenschmaus. Wirtin Claudia Albers hatte wieder exklusiv ein Menü aus Spezialitäten der Saison zusammengestellt.